54 Gesetzgebung und vollziehende Gewalt.
Bundesrathes an den Reichstag zu bringen, deckte, ein Prä-
zedenzfall?, der für die Entwickelung des organischen Ver-
hältnisses zwischen der kaiserlichen Gewalt und der Gesetz-
gebung gewichtig ist.
An diesem letzten Punkte liegt die Bedeutung des Vor-
ganges, die uns auf den Ausgangspunkt der Erörterung zu-
rückführt.
Die Umwandlung des preussischen Präsidiums des Ver-
fassungsentwurfes in die kaiserliche Gewalt der Reichsver-
fassung zerschnitt die Befugnisse, die der Entwurf in den
Händen Preussens konzentrirt hatte, in zwei Theile. Während
die vollziehende Gewalt und die schwach ausgebildeten Kron-
prärogativen an die kaiserliche Gewalt übergingen, verblieb
derjenige Theil der Befugnisse der Präsidialmacht, welche den
Einfluss der Vollziehung auf die gesetzgebende Gewalt durch
Initiative, Stimmrecht, Veto im Bundesrathe, durch Vertretung
im Reichstage darstellten, in den Händen des Einzelstaates
Preussen. Und damit gerieth die kaiserliche Gewalt als solche
in eine Stellung der Isolirung, theils der äusserlichen Unter-
ordnung, theils der mechanischen Anfügung im Verhältniss zu
der Gesetzgebung des Reiches und deren Organen.
dass 30 Stimmen, die 7'/, Millionen Einwohner repräsentirten, 28 Stimmen
mit mehr als 30 Millionen Einwohnern überstimmten, dass 16 Stimmen
sich in den Händen zweier Mitglieder befanden, dass in umfassendem
Masse von der Substitutionsbefugniss Gebrauch gemacht war, den Be-
schluss auffällig machen, Vorschriften der Verfassung oder Geschäfts-
ordnung widersprach er nicht. Dies beweist auch die Revision der
Geschäftsordnung vom 26. April 1880, die man zur Vermeidung ähn-
licher Vorkommnisse für erforderlich hielt.
* Ein aus preussischer Initiative stammender Gesetzentwurf, betreffend
die Anzeige der in Fabriken und ähnlichen Betrieben vorkommenden
Unfälle, ist vom Bundesrath, nach vorhergehender Berathung im Aus-
schuss, in der Sitzung vom 26. Febr. 1880 angenommen. Trotzdem ist
seine Vorlage an den Reichstag nicht erfolgt wegen entgegenstehender
Bedenken des Reichskanzlers. Ob diese Sistirung im Einvernehmen
mit dem Bundesrath erfolgt ist oder auch hier durch einseitige Ver-
fügung des Reichskanzlers, wie berichtet wird, ist in beglaubigter Weise
nicht bekannt.