Full text: Studien zum Deutschen Staatsrechte. Zweiter Band. (2)

Das Reich und der preussische Staat. 57 
ist — und das steht für uns im Vordergrunde des Interesses — 
von entscheidender Bedeutung für eine dauerhafte und trag- 
fähige Organisation des Reiches selbst nach zwei Seiten hin. 
Von ihrer richtigen Lösung hängt die Einfügung Preu- 
ssens ın das Reich ab. Denn Preussen ist, um es auf die 
Spitze zu stellen, kein exekutionsfähiger Staat. Mag man 
formalistisch sich heute auf Artikel 19 der Verfassung be- 
rufen, der dem Kaiser auf Beschluss des Bundesrathes die 
Exekution überträgt und sie also auch auf Preussen anwendbar 
erscheinen lässt. Der Verfassungsentwurf vermied selbst diesen 
formalistischen Schein, indem er zur Exekution den Bundes- 
feldherrn, d. h. den König von Preussen, berief. Er konnte 
den Fall nicht einmal gedacht haben, dass der König von 
Preussen verfassungsmässig verpflichtet werden sollte, gegen 
sich selbst militärische Exekution zu verfügen. Aber auch 
jetzt bedarf es keines Wortes, um nachzuweisen, dass die Er- 
füllung der verfassungsmässigen Bundespflichten Preussens eine 
zureichende Verbürgung nur empfangen kann durch die orga- 
nische Stellung, in welcher Preussen zur kaiserlichen Gewalt 
steht. Sie allein kann es ausschliessen, dass die Führung der 
preussischen Politik sich in Widerspruch setzt mit den ver- 
fassungsmässigen Pflichten gegen Kaiser und Reich. 
Von derselben Stellung hängt es aber zugleich ab, — und 
dies ist die zweite Seite der Betrachtung — dass die Zu- 
sammenhangslosigkeit und Schwäche der kaiserlichen Gewalt 
gegenüber den gesetzgebenden Körperschaften die ihr unent- 
behrliche Ergänzung und Verstärkung gewinne. Die Ausübung 
der Bevorrechtung Preussens im Bundesrathe muss in einer 
Richtung erfolgen, die der kaiserlichen Leitung der Reichs- 
politik entspricht. 
Diesen Anforderungen entsprechen die Bestimmungen der 
Reichsverfassung nur in beschränktem Masse. 
Es besteht der verfassungsmässige Satz, dass der Träger 
der Staatsgewalt in Preussen nothwendig und immer — den 
Fall der Regentschaft und, wenn man ihn nach preussischer 
Verfassung für zulässig halten will, den Fall der Stellvertretung
	        
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