64 Das Verordnungsrecht des Kaisers und des Bundesrathes.
der Vollzugsverordnungen einen hervorragenden Ausdruck fin-
den kann, wie dies z. B. für das deutsche Reich im Verhält-
niss von Bundesrath und Kaiser und von Reich und Einzel-
staaten geboten ist.
Im vollen Gegensatze hierzu fordert die Berechtigung,
gesetzvertretende Verordnungen zu erlassen, im konstitutio-
nellen Systeme stets den Nachweis der besonderen rechtlichen
Ermächtigung sowohl für das erlassende Organ als für den
zu regelnden Gegenstand, mag diese rechtliche Ermächtigung
im Uebrigen auf ausdrücklichen Bestimmungen von Verfassung
und Gesetz oder auf gleichwerthiger gewohnheitsrechtlicher
Bildung beruhen. Denn die Vertretung des Gesetzes durch
eine Verordnung ist Abweichung von der verfassungsmässigen
Organisation und Funktion der gesetzgebenden Faktoren.
Nicht minder scharf tritt der Unterschied der beiden Ver-
ordnungsarten in den Bedingungen ihrer Rechtsverbindlichkeit,
in den Formen der Bekanntmachung im weiteren Sinne hervor.
Wie die rechtsgültig von der kompetenten Behörde er-
lassene Verfügung durch Insinuation an die Gehorsams-
pflichtigen verbindlich wird, so auch die Vollzugsverordnung.
Insinuation aber ist die Erwirkung der thatsächlichen Kennt-
nissnahme der ergangenen Verfügung oder Vollzugsverordnung
von Seiten der Gehorsamspflichtigen durch eine zweckent-
sprechende, öffentlichen Glauben an sich tragende Handlung
der Behörde. Die Rechtsverbindlichkeit und mithin die an
den Ungehorsam geknüpften Rechtsfolgen sind hier durch den
Erfolg der Kenntnissnuahme bedingt; es stehen der Insinuation
regelmässig weder Präsumtionen noch Verpflichtungen der
Unterthanen zur Seite, welche die Nichtkenntniss zur an-
rechenbaren Schuld machen könnten. Darum aber auch sind
die Formen wechselnde, in das Ermessen der erlassenden Be-
hörde gestellte!, bald mündliche, bald schriftliche, bald per-
sönliche Behändigung, bald allgemeine Bekanntmachung. Nur
ı Daher das Recht der vorgesetzten Behörde, gewisse Blätter zum
Insinuationsmittel für die nachgeordneten Behörden zu machen; die
Nichtkenntniss ihres Inhaltes ist alsdann Verletzung der Amtspflichten.