Das Verordnungsrecht des Kaisers und des Bundesrathes. 79
man die Anwendbarkeit dieser Artikel dadurch ermöglicht,
dass Verordnungen, zu denen der Kaiser als solcher kraft
Reichsgesetzes ermächtigt ist, als preussische Verordnungen
ergangen sind. So die Kriegsartikel und die Disziplinarstraf-
ordnung für das Heer vom 31. Oktober 1872,! und die Heer-
ordnung vom 28. September 1875, die fich beide stützen auf
das dem Kaiser als solchem in dem Reichsmilitärgesetze vom
2. Mai 1874 SS 8 und 71 zugeschriebene Verordnungsrecht.
Beide aber sind nur von dem Kriegsminister, nicht von dem
Reichskanzler gegengezeichnet, sie haben mithin Rechtsgültig-
keit von Kaiser und Reichs wegen nicht, sondern sie sind
preussische Verordnungen, deren Geltung für das übrige Reichs-
heer nur durch partikulare Formen nach Artikel 61 vermittelt
werden konnte.
Il. Das Verordnungsrecht des Bundesrathes wurde durch
die Aenderungen, welche die Verfassungsentwürfe erlitten, un-
mittelbar in keiner Weise berührt. Dasselbe hat erst in der
Entwickelung nach Entstehung der Verfassung Wandelungen
erfahren, die theils seinen Umfang, theils seine Wirksamkeit
betreffen.
1.. Der Umfang des bundesräthlichen Verordnungsrechtes
gewann durch die Redaktion der Reichsverfassung, durch eine
freie Auslegung einzelner Verfassungsartikel und endlich durch
eine Reihe von Spezialgesetzen.
a. Die Redaktion der Reichsverfassung versetzte die Be-
stimmung der Nr. 2 des Artikel 37 aus den Spezialbestim-
mungen über das Zoll- und Handelswesen in den Artikel 7,
der die Kompetenzen des Bundesrathes im Allgemeinen regelte.
Es entstand die allgemeine Klausel, wonach der Bundesrath
im Unterschiede von andern Organen des Reiches es ist, dem
die verfassnngsmässige Kompetenz zusteht, über die zur Aus-
führung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwal-
tungsvorschriften und Einrichtungen zu beschliessen, sofern
nicht durch Spezialklauseln der Verfassung oder der Gesetze
’ Armee-Verordnungsblatt 1872, pag. 330.