Das Verordnungsrecht des Kaisers und des Bundesrathes. 89
erreichen, hat man die gesetzvertretenden Verordnungen des
Bundesrathes in das Bundes- und Reichsgesetzblatt aufge-
nommen. Hier erscheinen sie als Bekanntmachungen des
Reichskanzlers, gezeichnet mit seinem oder eines Stellvertreters
Namen. Aber diese Zeichnung ist nicht die Gegenzeichnung
des Artikel 17 der Verfassung; sie bewirkt nicht die Ueber-
nahme einer materiellen Verantwortlichkeit; sie bedeutet nichts
Anderes als eine Beglaubigung des Präsidenten des Bundes-
rathes für die Uebereinstimmung des Bundesrathsbeschlusses
mit seiner Ausfertigung. Denn der Reichskanzler steht in
keinerlei konstitutionellem Verantwortlichkeitsverhältnisse be-
hufs Deckung des unverantwortlichen Bundesrathes; er ist in
keinem Sinne dessen Beamter, sondern nur dessen Vorsitzender.
Darum richtet sich auch die Zulässigkeit der Vertretung bei
der Zeichnung der Bundesrathsbeschlüsse nicht nach den ge-
setzlichen Vorschriften über die Vertretung des Reichskanzlers
als solchen, sondern nach den Bestimmungen des Artikel 15
der Verfassung über die Vertretung im Vorsitz des Bundes-
rathes.
Das ergriffene Mittel, um den Bundesrathsverordnungen
unmittelbare Rechtsverbindlichkeit zu verleihen, steht in vollem
Widerspruche mit der Präsidialverordnung vom 26. Juli 1867,
welche das Gesetzblatt ausschliesslich für Verkündigungen des
Kaisers, für Gesetze und kaiserliche Erlasse nach Massgabe
des Artikel 17 der Verfassung bestimmte. Die Ausdehnung
der Bestimmung kann sich nur stützen auf dieselbe Analogie,
die es dem Präsidium gestattete, seinen eigenen Verordnungen
unter den nämlichen Bedingungen unmittelbare Rechtswirk-
samkeit beizulegen, unter denen die Verfassung unmittelbar
sie nur für Gesetze vorgesehen hatte.
Aber diese Analogie ist für die Bundesrathsverordnungen
vollkommen falsch, weil vollkommen einseitig gezogen worden.
Sollte dieselbe an der Stelle ausdrücklicher gesetzlicher Re-
gelung einen richtigen Platz finden, dann durfte sie schlechter-
dings sich nicht einseitig auf Artikel 2 der Verfassung stützen.
Denn dieser Artikel giebt nichts an, als das Mittel, das