Das kriegerische Ansehen, das er sich selbst mit seinen vielen
rasselnden Reden verliehen hat, entsprach vielmehr seinen histrio-
nischen Anlagen als seiner wahren Gesinnung. Reiner war das Ge-
löbnis empfunden, das er bei der Enthüllung des Denkmals seines
Vaters in Bremen am 22. März 1905, kurz vor der widerwillig
unternommenen Tangerfahrt, aussprach, niemals nach einer öden
Weltherrschaft zu streben. „Denn was ist aus den großen soge-
nannten Weltreichen geworden? Alexander der Große, Napoleon I.,
alle die großen Kriegshelden, im Blute haben sie geschwommen und
unterjochte Völker zurückgelassen, die beim ersten Augenblick wieder
aufgestanden sind und die Reiche wieder zum Zerfall gebracht
haben.“ Allerdings folgt gleich darauf wieder der die ganze Wirkung
verderbende Fanfarenton der ÜUberhebung: „Unser Herrgott hätte
sich niemals so große Mühe mit unserem Volke gegeben, wenn er
uns nicht noch Großes vorbehalten hätte. Wir sind das Salz der
Erde!“ Die Hohenzollernweltherrschaft, von der er träumte, sollte
nicht auf Eroberungen gegründet sein, aber eine Friedens= und
Weltrichterrolle zu spielen, wie sie mit durch seine eigenen Fehler
Woodrow Wilson zugefallen ist — das wäre sein Ideal gewesen,
obgleich er mit seiner Unstetigkeit und seinem Mangel an historisch-
politischem Sinn ihm in praxi ebenso wenig hätte nahekommen
können, wie es Wilson mit unzulänglicher Kenntnis Europas und
parteiischem Dünkel zu erreichen versucht hat.
Gelegenheiten wiederum ins Hintertreffen zu geraten, nicht genügt hätte, sie zu
überwinden. Das wußte das Ausland besser als das Inland, ja das Wissen war eine
der wichtigsten Grundlagen der englischen Politik, die längst die Pose des Frie-
densfürsten als Charaktermangel erkannt hatte. Gerade Wilhelm II., mag man
sonst über ihn denken wie man will, als wilden Mann hinzustellen, der nur seiner
Lust wegen den Krieg vom Zaune gebrochen habe, gehört lediglich ins Gebiet
der gegnerischen Mache.“ R. v. Kienitz, „Die Ursache des Krieges“, Preußische
Jahrbücher, Januar 1919, S. 62. — Ferner Karl Helfferich, Staatssekretär a. D.,
Zur Vorgeschichte des Weltkrieges, Berlin 1919, S. 226 (Mitteilungen über ein
Gespräch mit dem Kaiser vom 28. August 1914). — Endlich die Zeugnisse für die
Redlichkeit der Friedensbemühungen des Kaisers vor Kriegsausbruch bei Th. von
Bethmann Hollweg, Reichskanzler a. D., Betrachtungen zum Weltkrieg,
Rd. 1, Berlin 1919.
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