Full text: Um den Kaiser.

mit verstärktem Eifer den Balkanangelegenheiten widmen würde, 
offenbar zum Nachteil der österreichisch-ungarischen Interessen. Das 
Mürzsteger Programm für die Beruhigung Mazedoniens war for- 
mell noch in Kraft, praktisch aber hatte es keine Bedeutung mehr, 
und es stellte sich bald heraus, daß Rußland aus Asien nicht an die 
Seite Osterreichs, sondern Arm in Arm mit England nach Europa 
zurückkommen würde. Zwischen London und Petersburg wurde 
über ein neues Aktionsprogramm für Mazedonien an Stelle des 
Mürzsteger verhandelt. Aber nicht genug damit. Rußland, das 
sich von den Erschütterungen seiner Niederlagen in Ostasien und der 
Revolution im Innern noch lange nicht erholt hatte und daher 
nicht imstande war, dem wirtschaftlichen Vordringen Österreich-Un- 
garns in den slawischen Nachbarländern mit dem nötigen Nachdruck 
entgegenzutreten, verlegte sich darauf, den mühsam verhaltenen 
Gegensatz in der Adria zu verschärfen und eine Interessengemein- 
schaft mit Italien gegen die stürmische Politik des Barons Aehren- 
thal herzustellen. Fürst G. Trubetzkoy kennzeichnet dieses Bemühen 
in der nach seinem zeitweiligen Ausscheiden aus dem diplomatischen 
Dienst lol#o verfaßten Studie „Nußland als Großmacht“ treffend 
mit den Worten: „Rußland nahm mit Vergnügen die Möglichkeit 
wahr, gegen den österreichisch-deutschen Bazillus das italienische 
Gegengift anzuwenden.“ 
Unter solchen Umständen wurde die Zugehörigkeit Italiens 
zum Dreibunde immer mehr entwertet, die ausgleichende Tätigkeit 
Deutschlands gegenüber den Reibungen seiner beiden Bundesgenossen 
in der Adria erschwert und das Verhältnis zwischen Berlin und 
Peteroburg ersichtlich getrübt. Vor allem aber bestand für uns nach 
der Liquidation des zentralasiatischen Streites an den für England 
empfindlichsten Stellen nicht mehr die Möglichkeit, als Land der 
Mitte in Europa unsere Haltung je nachdem, wie es uns am vor- 
teilhaftesten schien, frei zu wählen. Das bedeutete das völlige 
Ende der alten Bismarckschen, von dem Thesenpolitiker von Holstein 
unter veränderten Umständen hartnäckig fortgesetzten Politik der 
zwei Eisen. Es blieb nichts anderes übrig, als unseren einzigen siche- 
fren Freund an der Donau in seinen Händeln mit den slawischen 
42
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.