eine Ausgeburt des sozialistischen Weltverbesserungswahnes. War
er wirklich nur dies?
Der Hauptgrund für die Unruhe in Europa und die Gefahr für
den Frieden beruhte in dem alten, fortdauernden deutsch-franzö-
sischen Streit um den Besitz von Elsaß-Lothringen. Ich habe da-
mals oft aus französischem Munde gehört: „Gebt uns doch den
französisch sprechenden Teil der Reichslande friedlich zurück, dann
ist die Nevanche tot und wir werden lange in Friede und Freundschaft
leben.“ Die Marokkofrage war praktisch in Algeciras zugunsten
Frankreichs entschieden worden. Die fortwährenden Proteste, Ein-
wände und Erinnerungen an den Wortlaut der Algecirasakte wider
französische Verstöße ließen auch diese Frage nicht zur Ruhe kommen.
Kann jemand daran zweifeln, daß die Franzosen bei einer vernünf-
tigen Schlichtung des alten Streites um Elsaß-Lothringen und
gegen formelle Anerkennung ihres Protektorats in Marokko und
gutwillig jede gewünschte koloniale Entschädigung geleistet hätten?
Oder kann jemand glauben, daß England einer deutsch-französischen
Aussöhnung entgegengetreten wäre? Daß das Sinnen und Trachten
des Königs Eduard darauf gerichtet gewesen sei, einen Weltkrieg
gegen Deutschland zu entzünden, ist eine Fabel. Was er und mit ihm
das liberale wie das konservative Kabinett hauptsächlich erstrebten,
war, die deutsche Flotte nicht zu groß werden zu lassen, weil sich
sonst die ernsteste Gefahr für die englische Seeherrschaft erhob, und
das Unglück für uns bestand darin, daß unsere Flottenenthusiasten
es nicht zu der angebotenen Verständigung über eine Beschränkung des
Schlachtschiffbaues kommen ließen, mochte auch unser Botschafter
Graf Metternich immer wieder berichten: „Wozu? Wenn wir ein
Schiff bauen, werden die Engländer immer zwei bauen, da ist kein
Ende.“ Daß tatsächlich die Flottenfrage die Klippe war, an der alle
Aussöhnungsversuche scheiterten, wird sich weiterhin noch bei Er-
örterung des englischen Verhaltens in den Balkanstreitigkeiten er-
weisen.
Also eine Utopie war der Gedanke eines Bundes England,
Frankreich, Deutsches Reich an und für sich nicht. Allerdings
hätten wir Opfer bringen müssen, ohne solche ging es nicht,
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