dazu war unsere Stellung in Europa schon zu sehr geschwächt, am
meisten eben durch den Übergang Nußlands an die englische Seite.
Am 13. Mai 1907 bemerkte der belgische Gesandte in Berlin in
einem Bericht an seine Regierung:
„Internationale Abmachungen sind jetzt an der Mode. Sie
vollziehen sich alle unter Ausschluß von Deutschland und zwischen
Mächten, die aus einem oder dem anderen Grunde Deutschland
feindlich gesinnt sind: England-Japan, England-Frankreich, Eng-
land-Rußland, Frankreich-Japan 1).“ Die Aiste vermehrte sich noch
durch die Mittelmeerabkommen, die im Anschluß an Reisen des
Königs Eduard nach Carthagena und Gaeta zwischen England,
Frankreich, Spanien und Italien zustande kamen. Wir konnten
ihnen nur unsere Öst= und Nordseeabkommen (Frühjahr 1908)
gegenüberstellen. Die Erklärungen, die über den territorialen Be-
sitzttand in der Ost= und Nordsee ausgetauscht wurden, waren im
Wesentlichen nur der formelle Ausdruck friedlicher Stimmungen
und bestätigten das Fehlen territorialer Streitigkeiten unter den
Beteiligten. Diese Abkommen standen an politischem Wert hinter
den vorher erwähnten Verträgen weit zurück.
Nicht zu verkennen ist natürlich, daß der große Wurf, eine
vollständige Umorientierung der deutschen Politik nach dem Wesien
hin, ohne die größte staatsmännische Kraft und Geschicklichkeit nicht
ausführbar gewesen wäre. Schon das Mißtrauen, das infolge
mancher pomphaften Kaiserrede, mancher überraschenden Wendung
gegen uns rege war, bildete eine Barre. Die Hauptwiderstände
lagen aber bei uns selbst. Bei dem Gedanken, mit Frankreich über
Elsaß-Lothringen zu verhandeln, hätte sich der vom großen Gefolge
des mißverstandenen Bismarck gehütete militaristische Geist auf-
gebäumt — in jenen kritischen Jahren entstand der Schlieffensche
Feldzugsplan mit dem Durchmarsch durch das neutrale Belgien —,
und die Alldeutschen wären rasend geworden. Das Bürgertum be-
rauschte sich an dem glänzenden Aufschwung von Handel und
1) „Zur europäischen Politik“, unveröffentlichte Dokumente, herausgegeben
von B. Schwertfeger, Berlin 1919, Band 2, S. 35 u. 160.
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