Full text: Um den Kaiser.

beim Reichskanzler befohlene Gesandte v. Müller trug den Eingang 
vor, ohne den Inhalt der Maschinenschrift durchgelesen zu haben, 
und Fürst Bülow verfügte kurzerhand, das Auswärtige Amt in 
Berlin solle den Inhalt prüfen und berichten, „welche Zusätze Ande- 
rungen, Weglassungen angezeigt wären!“ Im Auswärtigen Amt 
kam das Schriftstück an den Geh. Leg.-Rat Klehmet, einen sehr 
gewissenhaften Beamten, der in enger, zu enger Besehränkung seines 
Auftrages auf etwaige tatsächliche Irrtümer den Artikel Zeile für 
Zeile durchlas, einige Ungenauigkeiten notierte und, weil es sich 
um eine geheime Kaisersache handelte, keinen Kollegen beteiligte, 
etwa den englischen Neferenten, damals Frhrn. v. d. Bussche- 
Haddenhausen, oder den Pressereferenten, der sich aber in den kriti- 
schen Tagen gerade auf dem Lande befand. 
Darauf legte das corpus delicti rückwärts dieselben Stationen 
unangefochten wieder zurück, wie es hergekommen war: Klehmet, 
stellvertretender Staatssekretär, Gesandter v. Müller, zur Dienst- 
leistung in Norderney befohlen, der Kanzler, der Gesandte am Hof- 
lager v. Nücker-Jenisch, der Kaiser. Wenn nur einer der Beamten 
außer Klehmet in dem Manuskript geblättert hätte! Schuldig 
wollte keiner sein, jeder nahm an, daß die Hauptsache, die politische 
Zweckmäßigkeit eines solchen Artikels, schon vom Vordermann ge- 
nügend geprüft sei. 
Unterdrücken war, wie gesagt, unmöglich, Vertuschen hätte die 
Sache nicht besser, sondern leicht noch schlimmer gemacht. Beim 
ersten Lärmruf sehon erhob sich die Frage, ob der Kanzler die in dem 
Artikel aufgeführten Unterhaltungen gekannt und gebilligt, oder ob 
er etwa gar ihre Veröffentlichung gutgeheißen habe. Jeden Augen- 
blick konnte aus dem Hauptquartier, ich glaube, es war damals in 
Wernigerode, die Nachricht in die Presse kommen, daß die Aus- 
sprüche alle echt und vom Kanzler gebilligt seien. Es half nichts, der 
Kanzler mußte in die Bresche, das Versagen des amtlichen Appa- 
rates zugestehen, seine Entlassung anbieten und nach Ablehnung den 
Kaiser so gut wie möglich decken. Nun brach der Sturm erst recht 
los. Alles, was sich im Laufe von zwei Jahrzehnten an Verdruß, 
½ 67
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.