VII. Fuͤrst Bülows Ausgang.
Als Vorbereitung für den Hauptgegenstand der Reichstags-
debatten 1908/9 war im ganzen Reiche eine wirksame Propaganda
eingerichtet worden, um überall Verständnis für die Notwendig-
keit einer möglichst gründlichen Beseitigung der Notlage der
Reichsfinanzen zu wecken. Handel und Wandel waren in stetigem
Fortschritt begriffen und das Reich sollte knausern und darben?
Reform der ganzen Finanzgebarung, Schuldentilgung, Sparsamkeit,
keine kulturfeindlichen, besonders keine unsozialen Steuern — solche
Schlagworte fanden ein großes Publikum. Das Aufgebot des
Idealicmus brachte eine starke nationale Bewegung hervor. Von
einer wirklichen Reform in großem Stile konnte trotzdem nicht
gesprochen werden. Ihr stand zu viel UÜberkommenes entgegen.
Finanzhoheit der Einzelstaaten über die direkten Steuern, Matrikular=
beiträge der Einzelstaaten an das Reich und vom Reich wieder ge-
wisse Uberweisungen an die Einzelstaaten — das stieß sich und rieb
sich und verhinderte die Durchführung eines Systems, in dem
die sozialen Forderungen vorwalten. Immerhin war der Sydovsche
Plan nicht des sozialen Geistes bar. Dieser zeigte sich in höheren
Steuersätzen für teurere Waren (Zigarren und Zigaretten) und in
der Forderung einer Reichserbschaftssteuer.
Im Hauptausschuß und in den Unterausschüssen schleppten
sich die Beratungen von Monat zu Monat hin und unter dem
Druck des Ansturms festgeschlossener Interessengruppen und unter
dem Einfluß parteitaktischer Erwägungen, bei denen mitunter die
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