Residenz aufgehalten. Bald nachdem er die gewohnte Beschäftigung
wieder aufgenommen hatte, tauchte in engen, dem Hofe nahestehen-
den Kreisen das Gerücht auf, die Darstellung der Bülowleute
über die unglückselige Veröffentlichung von Kaisergesprächen im
Daily Telegraph entspreche nicht der Wahrheit, der wahre Schuldige
sei Bülow, er habe die Gespräche aus Briefen des Kaisers aus
Highcliffe Castle gekannt und in Briefen an den Kaiser ihren Inhalt
gebilligt. Auch wollten einzelne Würdenträger oder Gäste an der
Hoftafel aus dem Munde des Kaisers gehört haben, Bülow habe
seine Verfehlungen eingestanden. Also auch abgesehen von der nach-
lässigen Behandlung des Manuskriptes sollte dem Kaiser bitteres
Unrecht gescheben sein.
Was wochenlang gegen die amtliche Darstellung der Vorgänge
im November herumgeredet worden war, trat Anfang Februar in
einem Artikel des Regierungsrats a. D. Nudolf Martin in der „Ge-
genwart“ an die Offentlichkeit. Dem ersten Gegenwarts-Artikel
folgte im März ein zweiter sowie ein Buch „Fürst Bülow und Kaiser
Wilhelm II.“ von demselben Verfasser und mit der gleichen Tendenz.
In der Presse wurden die Martinschen Behauptungen nur verein-
zelt ernst genommen und im übrigen totgeschwiegen oder als unglaub-
würdig abgelehnt. Um so eifriger wühlte eine kleine Gruppe, die
sich um Martin und den Botschaftsrat a. D., Frhr. v. Eckardstein,
gebildet hatte und sich „die Kaiserlichen“ nannte, um bekannte
Abgeordnete, namentlich des Zentrums, Mitglieder des bayerischen
Königshauses, Bundesregierungen usw. von dem mit dem Keiser
angeblich getriebenen falschen Spiel zu überzeugen und den Fürsten
Bülow zu stürzen ).
1) Diese Angaben sind dem Ende 1909 erschienenen Buch „Deutsche Macht-
haber“ von R. Martin entnommen. Sie sind offenbar richtig. Was der Ver-
fasser aber alles sonst noch weitschweifig erzählt, ist eine groteske Geschichtsklitte-
rung, zusammengeflickt aus lauter fadenscheinigen Hypothesen. Fürsi Bülow soll
als Oberkommandierender, meine Wenigkeit als Generalstabschef von langer
Hand einen Feldzug gegen den Kaiser vorbereitet und mit Lug und Trug durch-
geführt haben. Das Material zu dem Artikel des Daily Telegraph sei dem Schloß-
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