Hans v. Frisch, Die Stellung der Fremden. 127
Von dem Grundsatz der Verpflichtung zur Aufnahme und Duldung der Staatsfremden gibt
es aber gewisse Ausnahmen. Zunächst können politische und wirtschaftliche Rücksichten einen
Staat zwingen, den Satz von der Gleichstellung fremder Staaten resp. ihrer Angehörigen zu durch-
brechen und Sondergesetze gegen bestimmte Rassen oder Klassen zu erlassen. Solche Gesetze tragen
den Stempel der Ausnahme von dem allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatz der Gleich-
stellung klar an sich. Hierher gehören die Gesetze amerikanischer Staaten gegen die gelbe Rasse!) und
die sogenannte Pauper-Einwanderung,'*) diese letztere in neuester Zeit auch in England #) und in
englischen Kolonien.?*) Das Recht zu derartiger Gesetzgebung kann vernünftigerweise keinem
Staate abgesprochen werden, denn es handelt sich hier nicht um Juristische Fragen, sondern um
politische und vitale Interessen der betreffenden Länder, die sie, wenn es nicht anders möglich ist,
auch mit Durchbrechung von Regeln des allgemeinen Völkerrechts zu schützen berechtigt sind.
Der Grundsatz, dass Fremde im Staat Zeduldet werden müssen, wird ferner durchbrochen
durch das jedem Staate zustehende Recht der Ausweisung von Fremden. Kein Staat lässt sich
das Recht beschränken, individuell bestimmte Ausländer aus Gründen, die in der Person derselben
liegen, aus seinem Gebiete wegzuweisen oder sie gar nicht über seine Grenzen hereinzulassen, sie
abzuweisen. Diese Massregel hat den Zweck, Volk und Gebiet von irgendwie gefährlichen oder
unerwünschten Elementen rein zu halten.) Die Gründe für eine Ausweisung können ausser-
ordentlich mannigfaltig sein, so dass sie jeder vollständigen Aufzählung in Gesetzen spotten; !*)
sie werden deshalb nur ganz allgemein angegeben, wie z. B. „Gefährdung derinneren oder äusseren
Sicherheit des Staates‘, so dass den ausweisenden Organen ein weiter Spielraum freien Ermessens
zuzukommen pflegt. **) Die Ausweisung ist in der Regel ein Akt der Exekutivbehörde; die Bestre-
bungen, sie zur Gerichtssachezu machen, um Willkürakte zu vermeiden, sind nur in einzelnen Staaten
von Erfolg gewesen. ?) Da dem Fremden kein Rech t auf Aufenthalt im Staate zukommt, besitzt
er auch in der Regel kein Rechtsmittel gegen eine Ausweisung.*) Von einem subjektiven Recht
13) In der nordamerikanischen Union beginnt die sogen. Anti-Chinesengesetzgebung in den 50er Jahren
des letzten Jahrhunderte mit Beschränkungen auf gewerblichem Gebiet. Seit 1881 wird die freis Einwanderung
beschränkt (Vertrag von Pcking) und später überhaupt untersagt. Bisher haben sioh alle Massregeln als nahezu
unwirksam erwiesen. v.Frisoh, Fremdenrecht S. 102 ff. wo auch die Literatur zusammengestellt ist.
4) v. Frisch, a. a. O. S. 9 ff.
35) An aot to amend thoLaw with regard to Aliens (5. Edw. VII. oh. 13). Hatsohek, Englisches Staats-
recht, II S. 634 ff. Das Gesetz gestattet den Ausschluss «(ler „undesirables persons“, darunter sind vor allem
solche Personen zu verstehen, die nicht die erforderlichen Mittel zum Lebensunterhalt besitzen, ferner Idioten,
Irrsinnige und gewisse Kranke. Einwanderer dürfen nur in bestimmten Häfen, in denen Einwanderungskom-
missäre angestellt sind, ausgeschifft werden.
16) Wirtschaftlich schwache Personen werden in den britischen Kolonien schon seit längerer Zeit ausge-
schlossen. Vergl. die Gesetze vonKanada1885, Nata| 1897 und 1903, Australien 19%0l u.a.
1?) Die Literatur über das Ausweisungsrecht ist sehr umfangreich, aber in Hand- und Lehrbüchern zer-
splittert. Als Werke all Charakters v.Martitz, Internationale Reohtshilfe in Strafsachen
1.S Tff. Langhar d. Das Rechter politischen Fremdenausweisung. v.Overbeok, Niederlassungsfreiheit
und Ausweisungsrecht. Feraud-Giraud, Droitd’expulsion des &trangers. Bös-de-Berc, Del’ expulsion
des &trangers. Martini, L 'expulsion des trangers. Hier ein ausführliches Literaturverzeichnis. (S. 361 £f.).
v.Conta, Die Ausweisung.
28) v. Bar, Internationales Privatrecht, I. S.294 ff. v. Martitz,a.2.0.1.S. 24ff. Langhard,
a. 0. 0. S.76ff. v. Conta,a.a.0.S.10ff. Martini, a.a. O. S. 54ff. Weitere Literatur beiv. Frisoh
a, 8. OÖ. S. 163 ff.
1%) Es lassen sioh drei Gruppen unterscheiden, in welobe die zur Ausweisung berechtigenden Gründe zu-
sammengefasst werden können, nämlich 1. G.ünde der Strafrechtspflege, 2. polizeiliche Gründe (Armen-, Sicher-
heits-, Sitten-, Sanitätepolizei u. s. f.), 3. endlich politische Gründe; diese lassen sich am wenigsten spezialisieren.
20) Ausweisung durch Gerichte kennen Österreich und Holland. Der in Frankreioh
1882 eingebrachte Gesetzentwurf ist unerledigt geblirben. Erfolglos waren auch die inBelgien (1864,65) und
wiederholt in der Schweiz in dieser Richtung unternommenen Versuche.
21) Man hat in verschiedenen Staaten versucht, gegen Ausweisungsbefehle untergeordneter Organe ein
Rekursreoht einzuführen. Misslungen sind diese Versuche in der Schweiz, wo der Bundesrat wiederholt erklärt
hat, seine auf Grund des Art. 70 Bundesverf. verfügten Ausweisungen seien endgültig und weder an die Bundesver-