134 Wilhelm van Calker, Die staatlichen Herrschaftsformen.
Anlehnung an das Vorbild Athens, teils in selbständig verlaufender Entwickelung auch die
meisten anderen politischen Gemeinwesen Griechenlands beherrschen.?) Die Entstehung
der spartanischen Verfassung, die ihren eigenen Weg geht und neben der athenischen
einen eigenartigen Typus darstellt, wird auf das Jahr 754 datiert. Sie hat mit der Ver-
fassung Athens den Ausgangspunkt — die Souveränität des Volkes — gemeinsam, ent-
fernt sich aber von jener, wenn wir von der alten Einrichtung des spartanischen Doppel-
königtums ganz abschen, durch die abweichende Gliederung des Volks und der Ämter-
organisation, die schliesslich trotz der Souveränitätsrechte der Vollbürgerschaft die eigent-
liche Exekutive mit weitestgehenden Machtbefugnissen in die Hand von einigen wenigen
Ephoren legt.!®)
IlI. Die Vielgestaltigkeit der staatlichen Herrschaftsformen, die von der staatsbildenden Kraft
des Griechentums in nahem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang erzeugt wurden, legten
dem aufmerksamen Beobachter, mochte er nun Historiker, Philosoph, Jurist oder Politiker
sein, den Wunsch nahe, eine systematische Gruppierung der verschiedenen Erscheinungs-
formen der staatlichen Herrschaft unter bestimmten leitenden Gesichtspunkten vorzunehmen.
Der erste bedeutsame Versuch dieser Art ist der des Herodot. Er unterscheidet die
Staaten darnach, von wem die oberste rechtliche Gewalt im Staate ausgeübt wird — ob
unmittelbar von der Gesamtheit der gleichberechtigten Bürger oder von einer engeren
Gemeinschaft von Bevorzugten oder von einem Einzigen allein —, in Isonomie, ÖOligarchie
und Monarchie. Herodot vermengt also bei seiner Unterscheidung die beiden Einteilungs-
prinzipien? Zahl und Qualität der Herrschenden. Die beiden Ausdrücke Basileia und
Tyrannis werden von ihm noch promiscue gebraucht.!!) Die Ausdrücke Demokratie und
Aristokratie fehlen bei ihm noch. Sokrates gibt nach Xenophons Memorabilien Definitionen
des Königtums, der Tyrannis, der Aristokratie, der Plutokratie und der Demokratie, wobei
sich indessen eine irreführende Vermischung von rechtlichen und politischen Unterscheidungs-
merkmalen zeigt. Das entscheidende Gewicht legt Sokrates hierbei weniger auf die Or-
ganisation der Staatsgewalt, als auf die Gesetzmässigkeit der Herrschaftsausübung. Die
Basileia und die Tyrannis unterscheiden sich nach seiner Lehre dadurch, dass die erstere
eine dem Gesetze entsprechende Herrschaft über Freiwillige, die Tyrannis eine in gesetz-
widrigen Massregeln sich ergehende Herrschaft über Unfreiwillige ist. Die Aristokratie
bezeichnet Sokrates als die Verfassung, auf Grund deren die Amtsträger vom Volke aus dem
Kreise der Gesetzesverständigen und der das Gesetz Erfüllenden bestellt werden; in der Pluto-
kratie dagegen erfolgt deren Bestellung aus dem Kreise der Reichen, in der Demokratie
aus der gesamten Bürgerschaft.'*)
Platon stellt der zu seiner Zeit herrschenden Unterscheidung der Staatsformen in
Demokratie, Oligarchie, Aristokratie, Basileia und Tyrannis eine Charakterisierung der
Herrschaftsformen nach ethischen Gesichtspunkten gegenüber. Das Entscheidende für die
Bewertung eines Staates ist für ihn die Gesinnung der Staatseinwohner. „Die einzige,
„richtige“ Staatsform ist der Staat der Staatsmänner, der Philosophen“; ihr werden die
Timokratie, als die Herrschaft der Besitzenden, die Öligarchie als Geschlechterherrschaft,
die Herrschaft der Besitzlosen und die Willkürherrschaft der Tyrannis als entartete Herr-
schaftsformen gegenübergestellt.13) Im Gegensatz zu Platon geht Isokrates beider Unter-
9% Vgl.v. Wilamowitz, S. 97.
2% v. Wilamowitz, S. 78ff. — Vgl. ferner hierher und zum Folgenden K. F. Hermann’s
Lehrbuch der Griech. Antiquitäten, bgg. v. Blümner, B. 1. Staatsaltertümer, 1. u. 2. Abt. hge. v.
Thumsor, u. besonders 3. Abt. 6. A. neubearb. v. Swoboda, 1913. — Bezüglich des römischen
Kaisertums s. Ludwig Hahn, Das Kaisertum. 1918.
1) Vgl. Rehm, Geschichte der Staatsreohtswissenschaft (1896) S. 16ff.
22) Rehm, G. d. St.R.W., S. 27ff.
23) Vel. Rehm, G.d. St.R.W., S. 30ff., bes. S. 33. Ioh weiche indessen von Rehm’s Darstellung der
Platonischen Herrsohaftsformen hier insofern ab, als ich in der Timokratie nicht die „dem streitsüchtigen und
ehrbegierigen Menschen ohteprechende“, sondern die auf dem Besitz (Tr = Sohätzung, Zensus) beruhende Herr-
sohaftsform sehe.