Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Wilhelm van Calker, Die staatlichen Herrschaftsformen. 135 
scheidung der Staatsformen von einem juristischen Merkmal, nämlich von der Zahl der 
Herrschaftsträger aus, und anerkennt demnach als selbständige Formen nur die Oligarchie, 
die Demokratie und die Monarchie, während er Aristokratie und Timokratie lediglich als 
Unterformen dieser Verfassungsformen ansieht. *%) Die juristische Einteilung der Staatsformen 
bei Aristoteles”) beruht in erster Linie ebenfalls auf dem Zahlenverhältnis der obersten 
Staatsorgane, sie berücksichtigt daneben aber auch noch andere Momente. Auf Grund des 
erstgenannten Einteilungsprinzipes unterscheidet Aristoteles zunächst die drei Staatsformen 
der Basileia (entsprechend der Monarchie oder Einherrschaft), der Aristokrateia (gleich 
Herrschaft der besten Bürger) und der Politeia im engeren Sinn (entsprechend der Volks- 
herrschaft oder Demokratie.) Diesen drei Grundformen, welche von ihm als ‚spdol zpöroL 
bezeichnet werden, weil sie dem Ideale einer Regierungsführung zum gemeinen Nutzen 
entsprechen, stellt er sodann auf Grund eines rein politischen Einteilungsprinzipes noch drei 
Abarten oder richtiger Entartungen (rapexßäoeıs) jener Grundformen zur Bee: die Tyrannis 
oder Despotie, das ist die unrechtmässig erworbene und in der Regel im selbstsüchtigen 
Interesse des Alleinherrschers ausgeübte Herrschaft; die Oligarchie, das ist die Herrschaft 
der besitzenden Klassen zu ihrem Vorteile, und endlich die "Demokratie in der spezifischen 
Bedeutung von Ochlokratie oder Pöbelherrschaft, das ist die Willkürherrschaft der nicht- 
besitzenden Masse. 
Die aristotelischen Grundanschauungen haben, wenngleich mannigfach modifiziert und 
lange gänzlich verschollen, die Jahrhunderte überdauert und werden auch heute noch viel- 
fach bei der Unterscheidung der Staatsformen zu Grunde gelegt.'") Dabei wird jedoch zumeist 
übersehen — oder doch zu gering eingeschätzt”) —, dass die aristotelische Dreiteilung 
einen logischen Fehler enthält: sie stellt, obgleich sie bei der Unterscheidung der Verfassungs- 
formen von der Zahl der herrschenden Personen ausgeht, der Einherrschaft zwei Staats- 
formen gegenüber, welche beide unter den Begriff der Mehrherrschaft fallen. Denn, so 
gross auch die inneren Unterschiede von Aristokratie und Politie (im Sinne des heutigen 
Begriffes der Demokratie) sind, so haben doch beide unverkennbar das formale Merkmal 
gemeinsam, dass sie die Staatsgewalt in die Hand einer unter einem Kollektivbegriff zu- 
sammengefassten Personenmehrheit legen. Die formalen Momente aber sind es, welche der 
rechtlichen Einteilung der Staatsformen zu Grunde gelegt werden müssen. Die konsequente 
Anwendung des aristotelischen Einteilungsprinzipes kann nicht zur Dreiteilung, sondern nur 
zur Zweiteilung führen. Der erste Schriftsteller, der diese Notwendigkeit nicht nurempfunden, 
sondern auch in präziser Weise zum Ausdrucke gebracht hat, ist Machiavelli..) Er 
unterscheidet einfach zwischen monarchischen und nichtmonarchischen Staaten, indem er dem 
Prinzipate, der fürstlichen Herrschaft, als einzig mögliche weitere Staatsform die Republik, 
d. i. die Mehrherrschaft, gegenüberstellt.) Die Republik hat zwei Unterarten, die Aristo- 
kratie. (stato d’otimati) und die Demokratie (stato popolare). Ebenso wie Aristoteles er- 
gänzt Machiavelli diese Einteilung der Staatsformen noch durch den Hinweis auf deren 
Entartungen: die Tyrannis (stato tirannico), die Oligarchie (stato di pochi) und die Ochlokratie 
(stato licenzioso). 
4) Rehm, G. d. St.R.W., S. 58ff. 
18) Vgl. hierüber Rehm, G.d. St.R.W., S. 60-130 u. Seydel, Vorträge aus dem Allgemeinen Stasts- 
recht, Annalen des Deutschen Reichs 1898, S. 482f. 
10) SovonRoscher,Politik, 2. A., 1893, S. 1ff., Seydel, Vorträge. S. 48lff. — Bezüglich der Um- 
wandlung der aristotelischen Staatsmorphologie in juristische Kategorien durch Jean Bodin e. v. Martitz, 
Die Monarchie als Staatsform, 1903, S. 16f. 
7) So von Seydel, a. a. O. S. 482. 
1) S, namentlich Alfred Sohmidt, Niccolö Machiavelli und die Algemeinn 51 gtaatelohre der Gegen- 
wart, Freiburg. Diss. 1907, bes. S. 60ff., Jellinek A.St.L., 2. A., S. 650, 3 
1°) „Tutti li stati, tutti i dominj, che hanno avuto et hanno imperio sopra an nomini, 80n0 etati 6 8000 0 
repubbliohe o prinoipati“ (Prince. I, erster Satz; eit. nach Alfred Schmidt S, 61).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.