Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Wilhelm van Calker, Die staatlichen Herrschaftsformen. 137 
  
Daher soll im folgenden von der Einteilung der Herrschaftsformen in Einherrschaft 
und Mehrherrschaft ausgegangen werden;*) in Unterordnung unter diese beiden Grundformen 
der Staatsverfassung wird eine weitere Unterscheidung in verschiedenerlei Unterformen 
stattfinden. Dabei ist allerdings stets im Auge zu behalten, dass die hier aus Zweck- 
mässigkeitsgründen gewählte herkömmliche Unterscheidung der Staaten nach Zahl, Art und 
Stellung ihrer Herrschaftsorgane notwendigerweise etwas Unvollkommenes und Einseitiges 
an sich hat und der unter anderen Umständen sehr berechtigten Forderung nach der Dar- 
stellung von historischen „Staatscharakteren oder Staatsindividualitäten‘®) nicht zu 
genügen vermag. 
Besonders deutlich tritt dieser Mangel hervor bei der Betrachtung aer Staaten- 
verbindungen, die so ausserordentlich grosse Verschiedenheiten zeigen und gleichwohl unter 
die beiden Herrschaftsformen der Einherrschaft und der Mehrherrschaft subsumiert werden 
müssen. Dabei sind die im folgenden aufgestellten Unterscheidungsmerkmale anzuwenden, 
politische Gesichtspunkte aber auszuschalten. Wir werden also das Deutsche Reich bei- 
spielsweise als Mehrherrschaft bezeichnen müssen, auch wenn wir überzeugt sind, dass das 
Wesen des Deutschen Reiches im stärksten Masse von dem monarchischen Prinzipe beherrscht 
ist,®) und wenngleich wir wissen, dass die Träger der Reichsgewalt in ihrer überwiegenden 
Mehrzahl die Eigenschaft von Monarchen haben.®) 
A. Die Einherrschaft. 
1. Das Wesen der Monarchie. 
Die Monarchie oder Einherrschaft ist diejenige Herrschaftsform, bei welcher die 
Staatsgewalt einer einzelnen physischen Person) zusteht, deren Willen sich dem Rechte 
nach als der höchste vom Staate ausgehende Wille darstellt. Unwesentlich ist dabei, ob die 
dem Monarchen zustehende Herrschaftsbefugnis auf eigenem Rechte des Monarchen beruht 
oder von einem Dritten abgeleitet ist.“*) Unwesentlich ist auch, ob der Staat mit anderen 
Stasten verbunden, ob er einem anderen Staate untergeordnet ist oder ob er sich im Besitze 
der Souveränität befindet. Das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses schränkt zwar 
den Staatswillen des Unterstaates als solchen ein, lässt aber die Tatsache unberührt, dass 
der Staatswillen sich in der Monarchie mit dem Herrscherwillen deckt und dass sich somit 
der Herrscherwille als der höchste vom Staate selbst ausgehende Willen darstellt. Ebenso 
wie die von Napoleon I. geschaffenen Könige von Westfalen, von Holland, von Neapel usw. 
zweifellos die Eigenschaft von Monarchen hatten, obwohl ihnen kein eigenes Recht auf 
ihre Stellung zustand, ebenso sind auch die Landesherren der deutschen Einzelstaaten stets 
als Monarchen angesehen worden, obwohl das Fehlen der Souveränität mit Recht geradezu 
als „die historische Eigenart des deutschen Einzelstaates“#) bezeichnet wird. 
») S. dagegen Bernatzik, Republik und Monarchie, 1892, S. 5 f. 
3) S. hierüber hard Schmidt, II. 2, S. 838 ff. 
20) Wenn Otto Ma yerinseiner vortrefflichen, die juristische und die politische Betrachtungsweise scharf 
auseinanderhaltenden Abhandlung ‚‚Republikanischer und monarchischer Bundesstaat‘, Arch. f. öff. R. VXIU, 
S. 338 das Deutsche Reich als ‚die echteste, vollsäftige Monarchie, welche die heutige Kulturwelt aufweist‘, be- 
zeichnet, so ist dies, wie der Zusammenhang unverkennbar zeigt, ausschliesslich im politischen Sinn zu ver- 
stehen. 
®) S. unten sub B, 2, a. Bezüglich der Herrschaftsform der Vereinigten Staaten von Amerika s. unten 
sub B, 2, b, ß. 
®2) Als dem „‚Träger der Staatsgewalt“. 
®) A.M.Bernatzik,S.26ff.,, Treitschke, Politik, B. II., S. 53. — Nach der geschichtlichen Er- 
fahrung muss es allerdings als die Regel bezeichnet werden, dass sich die monarchische Gewalt ausserhalb des 
Staates und der staatlichen Rechtsordnung entwickelte und ihren ‚Anspruch auf die Staatsgewalt demnach auf 
oigenes Recht stützte. Gleichwohl ist das Bestehen ein eigenen, hen oder über staatlichen 
Anspruchs auf die Herrschaft im Leben der Staaten. niemals als eine begriffliche Voraussetzung der Monarchie 
anerkannt worden. 
%) SoAnschütz, Deutsches Staaterecht, i. Enzyklopädie der Rechtswissenschaft hgg. v. Holtzen- 
dorff-Kohler, I. (1904) S. 471. 
  
 
	        
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