Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

154 Adolf Tecklenburg, Allgemeine Würdigung der Herrschaftsformen. 
  
Aristoteles schreitet aber insofern über Plato hinaus, als er, nicht wie jener die Schwierig- 
keit der Übertragung eines abstrakt hergeleiteten Idealstaates in die Wirklichkeit verkennend, 
sowohl sich mit dem Problem einer überall durchschnittlich am leichtesten zu verwirklichenden 
guten Staatsform beschäftigt, als auch bereits Anleitung zur relativen Beurteilung der Herrschafts- 
formen gibt. Wir haben an dieser Stelle nur auf den durchschnittlich besten Staat unser Augen- 
merk zu richten. Aristoteles schildert ihn als eine Mittelgattung zwischen Demokratie und Oli- 
garchie. In der Demokratie ist die Menge der Besitzlosen am Ruder, in der Oligarchie eine Minder- 
heit von Begüterten. Zwischen beiden soll die Politie ein Mittleres, und zwar eine Mischform 
sein. So werde man hier für die Teilnahme an den Volksversammlungen einen geringen Zensus 
aufstellen, während die Aristokratie einen hohen, die Demokratie aber gar keinen aufweist. Ihre 
Stütze würde die Politie in dem Mittelstand finden, d. h. in den Bürgern, die genug haben, um nicht 
gegen andere missgünstig sein zu müssen, aber auch nicht in so hohem Masse begütert sind, dass sie 
unter dem Neid der Unbemittelten zu leiden haben. 
b) Hellenistik und römisches Altertum. 
Von den nachklassischen Philosophenschulen haben die Peripatetiker die aristo- 
telische Formulierung der gemischten Verfassung weiter gepflegt. Nicht einflusslos vermag die 
Tatsache zu bleiben, dass die monarchische Staatsform seit der mazedonischen Zeit vorhertscht. 
Aber dieser Umstand veranlasst nicht, etwa den absoluten Charakter der damaligen Monarchie zu 
würdigen, sondern führt nur dazu, dass der überkommenen besten Staatsform, die als Mischung 
von Demokratie und Aristokratie angesehen wurde, nun noch das monarchische Element hinzu- 
gefügt werde. So wenig wie die spätgriechischen Philosophen mit diesem Staatsideal zu einer 
fruchtbringenden Betrachtung der bestehenden Monarchien zu gelangen vermögen, so wenig er- 
spriesslich ist es, wenn Cicero, dem gleichen Ideal der gemischten Staatsform huldigend, es in der 
römischen Republik verwirklicht sieht; die Komitien stellen das demokratische Element dar, der 
Senat das aristokratische, die Konsuln das monarchische. 
Der Untergang des griechischen Kleinstaatentums hatte sowohl die Traditionen, die den 
Einzelnen mit seinem Staat verknüpften, zerstört, als dadurch auch jene philosophische Lehre, 
dass der Mensch sich nicht selbst genug sei, sondern seine Ergänzung erst im Staatsleben finde, 
ihres Rückhalts beraubt wurde. Jetzt gelangte man zu der umgekehrten Anschauung, dass der 
Weise sich selbst genug sei, und daher des Staates nicht bedürfe. Der Pantheismus der Stoa drängt 
dazu, dass sich das Individuum vereint fühlt mit der ganzen Menschheit. Wie man ein allgemeines, 
über allen positiven Satzungen stehendes Naturrecht anerkannte, so gelangte man auch zu einem 
alle Völker umschliessenden Weltstaate. So vergleichttMark Aurel die Welt mit einem die ganze 
Menschheit umfassenden Staat, in welcher die Einzelstaaten gleichsam wie Häuser erscheinen. 
Die Epikureer sprechen dem Staat und seinen Gesetzen nur den Zweck zu, Schädigungen 
von den Menschen fern zu halten. Nur hierzu sei er gegründet worden. Epikur hat die Ver- 
tragstheorie, die Lehre von der Gründung des Staates durch einen Beschluss der Menschen zum 
ersten Male ausgesprochen. Er berührt sich darin mit der individualistischen Staatsanschauung 
der Sophisten und führt sie weiter. 
c) Das Mittelalter. 
Jellinek, Adam in der Staaislebre, 1893. — Schilling, Staats- und Soziallehre des hl. 
Augustinus, 1910. — Fraenkel, Petrus de Bellapertica, Archiv für Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie VI 
(1913) 637. — Scholz, Marsilius von Padun, Zeitschrift für Politik I (1907) 61. 
Seit der christlichen Zeit stand die Religion und nach Verlauf einiger Jahrhunderte die 
organisierte Kirche im Vordergrund. Für das Gemeinschaftsleben der Menschen trat der Staat 
in die zweite Linie zurück. Neben der Weltreligion und der Weltkirche konnte überhaupt nur ein 
Weltstaat einer Würdigung wert erscheinen. Für sein Verhältnis zu Religion und Kirche beschränkte 
sich das Problem dahin, ob er untergeordneten oder gleichgeordneten Rang einnehme. War der 
Staat nach Augustins Lehre nur durch die Sünde nötig geworden und konnte daher der weltliche 
Herrscher nur durch Vermittlung der Kirche dıe von Gott herstammende Herrschgewalt zurück-
	        
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