170 Paul Eltzbacher, Der Anarchismus.
liches Merkmal des Staates bilde. Könne also den Einzelstaaten auch keine Souveränetät zuge-
sprochen werden, so blieben sie doch Staaten, da sie im Gegensa‘z zu den kommunalen Verbänden
ursprüngliche, unabgeleitete Gewalt hätten, soweit die Verfassung keine Kompetenz für das Reich
begründe.
er So sind denn heute die grundsätzlichen theoretischen Bedenken gegen den Bundestaat ge-
schwunden. Die Bundesstaaten, Union, Schweiz, Deutsches Reich, haben gut funktioniert; ihnen
ist das Australian Commonwealth gefolgt. Jellinek!"s) gibt der Anerkennung dieser Staatsform
beredten Ausdruck. Er nennt den Bundesstaat gegenüber anderen Staatenverbindungen, namentlich
Staatenbund und Realunion, die einzige gesunde, normale und dauerhafte Herrschaftsform, ge-
eigneter für ein grosses Reich, als die Form eines auch noch so dezentralisiert gestalteten Einheits-
staates. Der germanischen Welt sei nach ihrem geschichtlichen Charakter die Bundesstaatsform
ganz besonders entsprechend.
Zurückhaltender sind Schriftsteller einheitsstaatlicher Nationalität; der französische Rechts-
historiker Esm ein!) beschreibt nur die vorkommenden Bundesstaatsverfassungen, ohne ein
Urteil auszusprechen. Der Engländer D ic e y'”) spricht ein allgemeines Urteil aus, indem er jedoch
die Verfassung der nordamerikanischen Union fast ausschliesslich berücksichtigt. Er schildert die
notwendige Schwäche der Regierung und Legislatur, hervorgerufen einerseits durch die Konkurrenz
der Kompetenz der Einzelstaaten, und andrerseits durch die überragende Stellung der richterlichen
Gewalt. Ebenso ist sein Tadel, dass ene bundesstaatl che Verfassung zu starr.und konservativ
sei, dem Hinblick auf amerikan sche Verhältnisse entnommen. Sidgwick!0) hebt neben diesen
Nachteilen als Vorteile hervor, dass kleine Staaten sich durch Organisation zu einem Bundesstaate
zur Wahrung ihrer Interessen gesenüber anderen Völkern, als auch zugunsten ihres kommerziellen
Absatzgebietes dieselben Vorteile zu sichern vermögen, wie solche grossen Einheitsstaaten zukommen.
b) Der Anarchismus.
Von
Dr. Paul Eltzbacher,
Professor der Rechte-an der Handelshochschule_ Berlin.
Literatur :
Es gibt nur zwei Werke über den Anarchismus, die auf einer einigerinassen unfassenden Kenntnis der
Quellen beruhen: Nettlau, Bibliographie de l’anarchie (1897); Eltzbacheor, Der Anarchismus (1900),
übersetzt ins Englische, Holländische, Französische, Spanische und Russische, besprochen von Kropotkin in der
Zeitschrift Les Temps Nouvenux 6. Sept. 1900 und von Tolstoj in dem Buche Muss es denn sein ? deutsch von
Syrkin, 1901.
Das Wesen des Anarchismus.
Unter dem Anarchismus denkt man sich in der Regel eine Gemeinschaft von Menschen, die es
sich zum Ziel setzt, durch schwere und sinnlose Verbrechen unsre friedliche Gesellschaft zu ver-
nichten und an ihre Stelle das Chaos zu setzen. Man denkt an Bomben, die in die Mitte einer Volks-
106) Staatslehre 765 ff.
106) Droit constitutionnel, $. 6 It.
10) Dioey, the Law of the Constitution, 167 (1.
108) Eloments of Politics, 1807, S. 542 ff.