Fran» W. Jerusalem, Zentralisation und Dezentralisation der Verwaltung. 183
derRegierungsgewalt. Gesetzgebung und Verwaltung ist in ihren Händen, die sie unter dem Gesichts-
punkt ihrer Interessen handhaben. Im Gegensatz dazu steht das absolutistische Staatswesen.
Hier ruht die Regierungsgewalt weder beim ganzen Volke noch einem Teile, sondern regelmässig
in den Händen eines absoluten Herrschers; es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sich typische
Merkmale dieser absolutistischen Regierungsform selbst in formalen Demokratien finden, wie das
Beispiel des heutigen Frankreich beweist.
Je nachdem es sich um die eine oder die andere Regierungsform handelt, ist nun die Ver-
teilung der Verwaltungstätigkeit verschieden gestaltet. In absolutistisch regierten Staaten wird sich
die gesamte Verwaltung, soweit sie nicht in den Händen der Zentralgewalt liegt, als delegierte Be-
fugnisse der Zentralgewalt darstellen. Die Lokalverwaltungsorgane werden blosse Werkzeuge der
Zentralgewalt sein, welche die Ausübung der Befugnisse der Lokalverwaltungsfaktoren bis ins
einzelste vorschreibt und ihre Ausführung genau überwacht.
Im Gegensatz dazu ist die Verteilung in demokratischen und aristokratischen Staatswesen
eine wesentlich verschiedene. Hier stellt die Zentralgewalt nichts als ein Organ der Gesamtheit
der Staatsbürger oder des herrschenden Kreises dar, das sie repräsentiert oder als ihr Beauftragter
erscheint. Da jeder Stastsbürger oder jedes einzelne Glied der herrschenden Schicht in möglichst
weitgehendem Masse an der Verwaltung teilnehmen will, eine grössere Teilnahme an der Staats-
verwaltung aber nur im Rahmen der Lokalverwaltung möglich ist, so wird hier die Dezentralisation
im Gegensatz zu den absolutistisch regierten Staaten ein charakteristisches Merkmal der Ver-
fassung sein.
Neben dem Charakter der Verfassung des einzelnen Staates kommt für die Verteilung der
einzelnen Verwaltungszweige selbstverständlich die Zweckmässigkeit in Betracht.
Dieses Moment wird allerdings in vielen Fällen, wo nicht der besondere Charakter eines Ver-
waltungszweiges, wie die Organisation der militärischen Streitkräfte oder die Gerichtsbarkeit eine
bestimmte Art der Verteilung zwingend verlangt, gegenüber dem Charakter der Staatsverfassung
nicht zu seinem Recht kommen. Es ist selbstverständlich, dass sich in einem Staate, wo die Ge-
samtheit der Staatsbürger oder ein Teil von ihnen die Herrschaft in Händen hat, die Neigung geltend
machen wird, die Dezentralisation gegenüber der Zentralisation der Verwaltung einseitig zu betonen.
Es ist verständlich, dass der Staatsbürger oder das einzelne Mitglied der herrschenden Klasse nur
ungern die Eingriffe der Zentralgewalt dulden wird und jedenfalls nur insoweit, als dies unumgäng-
lich notwendig ist. So wird hier die Gefahr vorliegen, dass Verwaltungszweige, die an sich einer
stärkeren Zentralisation bedürfen, zu kurz kommen.
Das Gegenteil wird bei dem Typus des absolutistischen Staatswesens der Fall sein. Hier
bedeutet die Zentralgewalt politisch alles, die einzelnen Staatsbürger nichts, die lediglich als Unter-
tanen, als Objekte der Herrschaft in Betracht kommen. Dem entsprechend wird die Zentralgewalt
die Neigung haben, möglichst alles ihrer eigenen Entscheidung vorzubehalten, auch wenn
manches zweckmässiger lokalen Verwaltungsorganen überlassen bliebe. Hier umgekehrt ist
also die Gefahr vorhanden, dass Verwaltungszweige, die eine dezentralisierende Behandlungsweise
erfordern, wegen der allgemeinen Tendenz zur Zentralisation geschädigt werden und verkümmern.
L”. . An zwei Beispielen möchte ich die Verteilung der Verwaltungsgeschäfte zwischen Zentralgewalt
und Lokalverwaltungsbehörden in geschichtlicher Entwicklung darlegen, wobei ich mich vor-
wiegend auf die Betrachtung solcher Verwaltungszweige beschränken werde, die nicht aus begriff-
lichen Gründen oder zwingenden Zweckmässigkeitsrücksichten ohne weiteres in bestimmter Weise
verteilt sind. Als Beispiel eines demokratisch-aristokratischen Staatswesens werde ich England
heranziehen, während mir als Beispiel eines absolutistischen Staatswesens trotz seiner heutigen
formalen demokratischen Verfassung Frankreich als das geeignetste erscheint.
II. Der heutige Charakter der Verwaltung in England beruht historisch auf dem ursprüng-
lichen Gegensatz zwischen Zentralgewalt und lokaler Autonomie, der seinen Ausdruck findet in dem
herrschgewaltigen normannischen Königtum, das auf Vereinigung des gesamten Umfanges der
öffentlichen Gewalt in seinen Händen hinarbeitet, einerseits und dem Stammesbewusstsein der
unterworfenen Völkerschaften anderseits, deren Territorien unter dem Drucke der Königsgewalt
zu Bezirken der Lokalverwaltung werden. Dieser Gegensatz zwischen machtvollem Königtum und
lebendigem Stammesbewusstsein innerhalb der einzelnen Grafschaften des Königreiches fand zum