Franz W. Jerusalem, Zentralisation und Dezentralisation der Verwaltung. 185
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massgebenden Faktor innerhalb der Verwaltung, die im Gegensatz dazu auf dem europäischen
Kontinent stets als die eigentliche Domäne des Fürsten und seiner Regierung angesehen worden ist.
Diese Ausführungen kennzeichnen bereits die möglichen Entwicklungswege für das Verhältnis
zwischen Zentralgewalt und Lokalverwaltung für die folgende Zeit. Eine Zentralisation der Ver-
waltung war in der Folgezeit nur möglich, wenn es dem Königtum gelang, das Parlament zurückzu-
drängen und nach kontinentalem Muster ein absolutes Königtum aufzurichten; da es nicht gelang,
vielmehr umgekehrt das Parlament allmählich zur Alleinherrschaft gelangte, musste auch das Ver-
hältnis zwischen Zentralgewalt und Lokalverwaltung ein anderes werden. Die Geschichte der nachsten
Zeit zeigt das aufs deutlichste. Während durch die Entstehung eines Beschwerderechtes gegen die
Verfügungen des Friedensrichters und das Prinzip seiner Entlassungsmöglichkeit zunächst die unbe-
dingte Unterordnung des Friedensrichters unter die Zentralregierung, den König und sein Privy
Council zum Ausdruck kam, zeigte sich in der Folgezeit mit dem Erstarken des Parlamentes
eine grössere Unabhängigkeit der Lokalverwaltung gegenüber der Zentralgewalt, die jedoch dann,
als mit der Dynastie der Tudors eine Reihe energischer Persönlichkeiten auf den englischen Thron
gelangten und das Parlament in seiner Machtstellung für eine Zeitlang zurückgedrängt wurde,
wieder in stärkere Abhängigkeit von der Zentralgewalt geriet. Die Oberaufsicht des Privy Council
nahm im 16. Jahrhundert sogar eine bis dahin nicht gekannte Intensität an, die ihren Ausdruck in
der Schaffung der Star Chamber fand, einer Kommission, die im Schosse des Privy Council aus-
schliesslich mit der Überwachung der Friedensrichter betraut wurde. Durch Heinrich VIII. wurden
sogar im Widerspruch mit der altüberkommenen Verfassung der Lokalverwaltung noch besondere
Provinzialbehörden über den Friedensrichtern eingesetzt, die als Delegierte des Privy Council
fungierten.
Diese zentralisierenden Tendenzen des englischen Königtums wurden nun gefördert durch
die Erweiterung des Kreises staatlicher Aufgaben, die gerade in dieser Zeit einsetzte. Es war die
Reformation, die wie auf dem Kontinent so auch in England dem Staat wichtige Aufgaben übertrug,
die bis dahin von der Kirche erfüllt worden waren; vor allem war es die Armenversorgung. Sie
wurde unter der Regierung Elisabeths auf staatlicher Grundlage organisiert. Dazu kam, dass,
entsprechend den absolutistischen Neigungen des Königtums, in dieser Zeit die Entfeudalisierung
der Lokalverwaltung, die bereits früher begonnen worden war, vollendet wurde; dadurch fielen in
dieser Epoche mannigfache Aufgaben in die Hände des Friedeusrichters, die bis dahin Gegenstand
von Lehnsrechten gewesen waren.
Diese zentralisierenden Tendenzen des englischen Königtums waren es, die zur englischen
Revolution führten. Die Stuarts, die die Politik der Tudors bis zum äussersten fortführten,
begannen die Organe der Zentralgewalt zu religiösen Verfolgungen auszunutzen und führten damit
die Katastrophe herbei. Mit der Berufung Wilhelms von Oranien auf den englischen Thron war der
Kampf zu Ende. Indem damit der Begriff des an das Verfassungsrecht gebundenen Königtums end-
gültig festgestellt worden war, wurde zugleich auch der Gegensatz zwischen Zentralgewalt und Lokal-
verwaltung zu gunsten der letzteren entschieden. Bereits unter Carl I. waren die Sternkammern und
die Provinzialdelegationen des Privy Council abgeschafft und durch Statut (16 Carolus I. c. 10) be-
stimmt worden, dass jede Jurisdiktion des King in Council und jede Entscheidung über Rechts-
streitigkeiten auf Beschwerde oder Petition dem Privy Council verboten sein sollte. Damit waren der
Zentralregierung Aufsichtsbefugnisse gegenüber den Lokalbehörden abgesprochen, die Lokalver-
waltung der Friedensrichter war autonom geworden, unterworfen nicht mehr einer Zentralver-
waltungsbehörde, sondern nur mehr dem Gesetz, dessen Befolgung lediglich durch den ordentlichen
Richter auf Klage, in höchster Instanz durch den Court of Kings Bench, festgestellt wurde. Etwas
absolut neues war damit in die englische Verfassung nicht hineingetragen. Von jeher hatte der Grund-
satz bestanden, dass jeder Diener der Krone für seine Handlungen dem ordentlichen Richter verant-
wortlich sein solle; das neue bestand lediglich darin, dass für die Lokalverwaltungsbebörden die
ausserordentliche Gerichtsbarkeit des Privy Council, der sich allerdings in Wirklichkeit nicht mit
Rechtssprüchen begnügt hatte, wegfiel. Damit war die administrative Oberaufsicht der
Zentralgewalt beseitigt und übrig geblieben war nur mehr die kontrollierende Oberinstanz des ordent-
lichen Richters, der seine Tätigkeit auf die Prüfung der Gesetzmässigkeit der Lokalverwaltung
beschränkte und nur auf die Klage eines Interessenten hin seinen Rechtsspruch abgab.