Hugo Preuss, Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland. 307
unten nur in eigentümlicher Brechung, die sich aus seinem Verhältnis zu den 3 Elementen der
Kreisorganisation, den 3 restaurierten Kreisständen ergibt. Zwischen Landrat und Kreisstädten
herrscht bestenfalls ein bewaffneter Frieden als notwendige Folge der unglücklichen Eingliederung
der Städte in den agrarischen Kreis. Dagegen hat der Landrat die Landgemeinden tatsächlich und
rechtlich unbedingt in der Hand. Zur wirksamen Leitung des Kreises ist er also auf die Unter-
stützung des ersten Kreisstandes angewiesen, die er nur durch Eingehen auf dessen Sonderinter-
essen gewinnen kann. Gemeinsam aber beherrschen beide nicht nur Kreistag und Kreisausschuss
absolut, sondern damit die ganze Organisation, wie sie auf Grundlage dieser Kr. O. aufgebaut wurde.
Der Reform der Kreise folgte die der Provinzen durch die Prov. ©. v. 1875, die gleichfalls
nur für die östlichen Provinzen ausser Posen erging. Und mit zwingender Logik projizierten sich
die spezifisch östlichen Charakterzüge der Kr. O., insonderheit die Unterordnung der städtischen
Interessen unter die des agrarischen Grossgrundbesitzes, aufdie Prov.O. Das gilt zunächst von der
Bildung des Repräsentativorganes der Provinzialgemeinde, des Provinziallandtags. Seine Mitglieder
werden von den Kreistagen gewählt, in Stadtkreisen von Mag. und Stadtver. Dass die Provinzial-
vertretung aus den Kreisvertretungen hervorgehe, entspricht dem seit den Stein-Hardenbergschen
Plänen feststehenden Grundriss dieser Organisation. Jedoch sollten danach die Kreisvertretungen
aus den Gemeindevertretungen hervorgehen; und diese grundlegende Voraussetzung ist mangels
einheitlicher kommunaler Fundamentierung des Kreises, an deren Stelle das Dreiständesystem der
Kr. O. getreten war, weggefallen. Damit sind auch im Provinziallandtag die Städte kraft Ge-
setzes zu hoffnungsloser Minderheit verdammt. Und der Provinziallandtag wählt die beiden anderen
leitenden Organe der Provinzialgemeinde: Provinzialausschuss und Landesdirektor! Aus der Kon-
struktion der Kreisverfassung ergibt sich auch diemerkwürdige Tatsache, dassim Provinzialausschuss,
einem Organ rein kommunaler Selbstverwaltung, politische Staatsbeamte, die Landräte, eine mass-
gebendeRolle spielen. So haben auch im Provinzialverbande die Städte den geringsten Einfluss auf die
Verwendung der Mittel, zu deren Aufbringung sie nach ihrer Leistungsfähigkeit am meisten bei-
tragen müssen; wie denn auch hier diese Mittel vor allem für solche Einrichtungen gebraucht
werden, an denen jedenfalls die grösseren Städte das geringste Interesse haben, weil sie schon als
Grossgemeinden solche kommunalen Aufgaben z. B. Wegebau, Irtenpflege und ähnl. selbst erfüllen
müssen. Andrerseits fehlt der beim Kreise noch gelassene Notausgang eines Ausscheidens aus dem
Provinzialverband auch für die grössten Städte. Nur Berlin gehört keiner Provinz an.
Doch auf diese wesentlich pekuniäre Beeinträchtigung ist die Wirkung der antiurbanen
Grundlage der ganzen Organisation keineswegs beschränkt. Die mit Kr.- und Prov.-O. eingeführte
Gesetzgebung nahm auch den Gedanken wieder auf, die reorganisierten höheren Kommunalkörper
zur Ausübung der Kommunalaufsicht heranzuziehen ; und sie fügte die Organisation einer — freilich
recht fragmentarischen — Verwaltungsrechtsprechung hinzu. Die dafür neugeschaffenen Behörden
erhielten nach mannigfachen Experimenten durch L.V.G. u. Z2.G. von 1883 ihre heutige Gestalt.
Als Beschlussbehörden der allgemeinen Landesverwaltung fungieren über dem Kreisausschuss:
Bezirksausschuss und Provinzialrat; der Bezirksausschuss ist zugleich, wie auch der Kreisausschuss,
Verwaltungsgericht. Der Provinzialrat besteht aus dem Oberpräsidenten als Vorsitzenden, einem
ernannten staatlichen Berufs- und 5 gewählten Ehrenbeamten; der Bezirksausschuss aus dem Re-
gierungspräsidenten als Vorsitzenden, 2 ernanntenstaatlichen Berufs- und 4gewählten Ehrenbeamten.
Die ehrenamtlichen Mitglieder beider Behörden aber werden vom Provinzialausschuss gewählt. Da der
Povinzielausschuss vom Provinziallandtag gewählt wird, so überträgt sich dessen Struktur auf jene
Kollegien; und da der Provinziallandtag auf der Kreisverfassung ruht, ist am letzten Ende für die
ganze Organisation das im Kreise verankerte condominium von Staatsbureaukratie und Grossgrund-
besitz massgebend. Die so konstruierten Behörden aber sind zur Mitwirkung bei der Staatsaufsicht
über die städtische Selbstverwaltung, der Bezirksausschuss auch zur Verwaltungsrechtsprechung
über ihre Angelegenheiten berufen. Dagegen erhob sich schon bei der Beratung der Prov. O. der
energische Widerspruch aller Vertreter der Städte ohne Unterschied der politischen Partei; lieber
noch wollten sie unter der bisherigen Aufsicht der Staatsbureaukratie allein verbleiben. Sogar
der Minister Eulenburg erkannte die Berechtigung dieses Widerspruches an, verwies aber zur
Beruhigung auf das Gesetz, das er nunmehr für das „notwendigste‘‘ erklärte, nämlich eine revidierte