919 Hugo Preuss, Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland.
anderen norddeutschen Staaten zunächst das Vorbild jener Reform kaum irgend eine Nachahmung.
Vielmehr stellte man in der Restaurationszeit nach Möglichkeit die alten Gemeindeverhältnisse
wieder her. Erst unter der Nachwirkung der Julirevolution von 1830 vollzog sich in den nord-
deutschen Kleinstaaten vielfach im Zusammenhang mit der konstitutionellen Bewegung der Über-
gang zu einer modernen Organisation der kommunalen Selbstverwaltung. Eine Sonderstellung
nehmen die freien Städte ein, bei denen Staatsverfassung und Stadtverfassung im wesentlichen
zusammenfallen; und andererseits die Grossherzogtümer Mecklenburg, die sich solcher Moderni-
sierung bisher entzogen haben. Dagegen ging im Königreich Sachsen die politische Bewegung gerade
von der Unzufriedenheit mit dem veralteten städtischen Ratsregiment aus und führte, wie zur kon-
stitutionellen V. v. 1831, so zur St.O. v. 1832. Auf diese wie auf andere kleinstaatlicbe Gemeinde-
gesetze übteneben dem preussischen auch schon das süddeutsche Muster einen gewissen Einfluss aus;
jedoch wurde die verschiedene Behandlung von Stadt- und Landgemeinden im Norden durchweg
festgehalten.
Fast gleichzeitig mit der Steinschen St.-O. war in Bayern das Edikt vom 24. September
1808 über das Gemeindewesen ergangen, das die Nachahmung der napoleonischen Einrichtungen
in den Rheinbundstaaten auch auf dem Gebiet der Munizipalverfassung treulich wicderspiegelt.
In den kleineren süddeutschen Staaten wurde dieses System auch noch einige Zeit nach dem Sturz
der Fremdherrschaft beibehalten; dagegen vollzog sich in den beiden süddeutschen Königreichen
in Zusammenhang mit der Einführung konstitutioneller Staatsverfassungen auch der Übergang zur
kommunalen Selbstverwaltung. Das bayrische Edikt von 1818 über die Verfassung und Verwaltung
der Gemeinden trennt die Organisation der Städte und grösseren „Märkte‘ von der der „Rural-
gemeinden“, und folgt in vielen Punkten dem Steinschen Vorbild in der Absicht, „in den Städten
und Märkten die Magisträte mit einem freieren und erweiterten W irkungskreise wiederherzustellen“.
Auchdasl - „bürgerlicher Magistrat‘ und „Gemeinde- Ausschuss‘ —
wie die Verbindung von Ehren- und Berufsamt wird herübergenommen. Schärfer tritt die süd-
deutsche Eigenart in dem württembergischen Edikt von 1822 für die Gemeinden, Ober-
ämter und Stiftungen bervor. Die Organisation ist im wesentlichen für alle Gemeinden eine einheit-
liche, nur mit etlichen Vereinfachungen für die Gemeinden bis zu 5000 E. Die Gemeindekollegien
— Gemeinderat und Bürgerausschuss — werden beide direkt von der Bürgerschaft gewählt; auch
ist ihre Beratung in der Regel eine gemeinsame. Eine dieser württembergischen vielfach ähnliche
Gemeindeverfassung erging 1831 in Bad en, wie überhaupt die dreissiger Jahre auch in Süddeutsch-
land manche Fortbildung des Kommunalrechts brachten.
Alle diese Gemeindegesetze bleiben in der Grösse und Weite ihrer leitenden Gesichtspunkte,
ihrer politischen Triebkraft hinter dem Steinschen Vorbild weit zurück; mögen auch manche von
ihnen in technischen Einzelheiten zweckmässigere Bestimmungen enthalten. In den Kleinstaaten
steht ja auch die Zentralgewalt den örtlichen Verhältnissen allzu nahe, als dass sich die politische
Bedeutung der Differenzierung von kommunaler und staatlicher Organisation so fühlbar machen
könnte wie im Grossstaate. So schiebt sich dort die wirtschaftliche Seite in den Vordergrund.
Treffend hat schon Brater sein Urteil über jene Gemeindegesetze also zusammengefasst: „Als
Kern des Gemeindelebens fassen sie noch die Vermögensverwaltung auf und nehmen auf die höheren
Zwecke, welchen das Gemeindevermögen als Hilfsmittel dienen soll, in ihren Anordnungen wenig
Bedacht. Von den zwei Elementen der Gemeindefreiheit wird eines, die Autonomie, noch kaum er-
kannt, das andere, die Selbstverwaltung, durch eine überwuchernde Staatskuratel verkümmert.
Zudem sind die Vorschriften über Organisation der Gemeindeobrigkeit darauf berechnet, dass die
wichtigsten Sitze von bureaukratisch geschulten Männern eingenommen werden, und so eine Ge-
meindebureaukratie von innen heraus der von aussen herein regierenden Staatsbureaukratie die
Hand reicht.“
Die Bewegung von 1848 und die in den Frankfurter Grundrechten gegebenen Richtlinien
für die Befreiung der Gemeinden als der Grundlagen des freien Staates brachten auch die Gemeinde-
gesetzgebung der kleineren Staaten in lebhaften Fluss. Jedoch trat auch hier der Rückschlag sehr
bald ein, der diesen Gesetzen meist ein ähnliches Schicksal bereitete wie den preussischen Kommu-
nalordnungen vom 11. März 1860. Erst seit der Ära der Reichsgründung setzt hier eine neue Tätig-