Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Hugo Preuss, Die kommunale Selbstverwaltung in Deutschland. 917 
  
wählt; in Sachsen der erste Bürgermeister, in Baden und Oldenburg sämtliche Ratsmitglieder 
in gemeinschaftlicher Sitzung beider Kollegien; in Hannover werden die Senatoren vom Senat 
und einer gleichen Anzahl „Bürgervorsteher‘ auf Lebenszeit gewählt. Die Wahl geschieht un- 
mittelbar durch die Bürgerschaft: in Schleswig-Holstein aus drei von einem Präsentationsausschuss 
vorgeschlagenen Kandidaten, in Württemberg und Weimar. In Frankfurt a.M. wird der erste 
Bürgermeister aus 3 von den Stadtverordneten präsentierten Kandidaten vom König ernannt. 
Der zweite Bürgermeister bedarf dort der staatlichen Bestätigung; ebenso die beiden Bürgermeister 
in Schleswig-Holstein. Der Entwurf von 1876 hatte die Bestätigung allgemein auf die Bürger- 
meister beschränken wollen; jedoch ist es nach dem Scheitern dieses Entwurfes bei der staatlichen 
Bestätigung sämtlicher Magistratsmitglieder in allen anderen preussischen Provinzen geblieben; 
und zwar für 1. und 2. Bürgermeister in Städten von mehr als 10 000 E. durch den König, sonst 
durch den Regierungspräsidenten. Dass letzterer die Bestätigung nur mit Zustimmung des Be- 
zirksausschusses versagen kann, hat kaum mehr als dekorative Bedeutung, da die verweigerte 
Zustimmung vom Minister des Innern „ergänzt‘‘ werden kann. In den meisten andern deutschen 
Staaten ist das Bestätigungsrecht auf die Bürgermeister beschränkt, in Bayern auf die rechts- 
kundigen Magistratsmitglieder. In Württemberg ist das auf die Ortsvorsteher beschränkte 
Bestätigungsrecht an bestimmte Versagungsgründe gebunden; und Baden endlich hat den grossen 
Wurf gewagt, auf dies alte Institut überhaupt zu verzichten, ohne dass schreckliche Folgen bekannt 
geworden wären. 
Die Beibehaltung des Bestätigungsrechts ist mit der Übertragung „staatlicher‘‘ Kompe- 
tenzen, insonderheit der Polizei, zu begründen versucht worden. Diese Begründung versagt — 
abgesehen von der petitio prineipii der „staatlichen‘‘ Natur jener Funktionen — in der grossen 
Mehrzahl der Fälle, in denen die betreffenden Stellen mit den angeblich „staatlichen‘‘ Funktionen 
gar nicht betraut sind. In Wahrheit liegt dem ganzen Institut das angeborene Misstrauen des 
obrigkeitlichen Beamtenstaats gegen die freie bürgerliche Selbstbestimmung zugrunde; wie im 
alten System hält er es für die natürliche Pflicht der Obrigkeit, die „Eignung der gewählten Subjekte 
für ihre Stellen‘ nachzuprüfen. Es ist also ein immanenter Widerspruch gegen den tragenden Grund- 
gedanken der Sclbstverwaltung. Völlig unvereinbar mit ihrem Prinzip wie mit dem des Rechts- 
staats ist aber das freie Ermessen in der Versagung der Bestätigung ohne Angabe von Gründen. 
Wenn dafür geltend gemacht wird, dass niemand ein Anrecht auf ein bestimmtes Amt habe, und 
man also keine Gründe für die Nichternennung verlangen könne, so zeigt dies eine völlige Verkennung 
der rechtlichen Natur der Bestätigung. Denn diese ist kein Residuum der Ernennung; die Berufung 
der Person ist durch die Wahl geschehen; und die Bestätigung ist ein Mittel der Staatsauf- 
sicht über die kommunale Selbstverwaltung, also ein staatlicher Eingriff in die Rechtssphäre der 
Gemeinde. Als solcher bedarf er aber nach dem Grundprinzip des Rechtsstaates der gesetzlichen 
Determinierung seiner Voraussetzungen und der Möglichkeit einer Nachprüfung seiner Recht- 
mässigkeit im Wege der Rechtsprechung. 
Das Gleiche gilt von den sonstigen Mitteln der staatlichen Kommunalaufsicht, zu denen 
auch die Genehmigung von Ortsstatuten und dergl. gehört; es gilt vor allem aber von der Staats- 
aufsicht als Ganzem. Eine gesetzlich ungemessene Aufsicht ist tatsächlich die Aufhebung der 
Selbstverwaltung, an deren Stelle sie eine Oberleitung der kommunalen Verwaltung durch die 
Staatsbehörden setzt. So werden ausden Aufsich ts behörden in Wirklichkeit „vorgesetzte“ 
Behörden und aus den Organen kommunaler Selbstverwaltung, „„ubordinierte“ Staats- 
behörden. Diese Vertauschung von Aufsicht und Subordination ist das 
chronische Leiden der deutschen, vor allem der preussischen Selbstverwaltung. Es wurzelt zunächst 
in der erblichen Belastung durch die immanente Denkart des obrigkeitlichen Bureaukratismus, 
der sich ein Behördensystem gar nicht anders vorzustellen vermag, als in der Gestalt einer von 
oben nach unten abgestuften Hierarchie „vorgesetzter“ und „nachgeordneter‘‘ Amtsstellen. Im 
begrifflichen Gegensatz hierzu steht dasWesen der Selbstverwaltung, das diekommunalen Funktionen 
der Zuständigkeit und also auch der Verantwortlichkeit staatlicher Behörden entzieht. Hier tritt 
das kommunale Willenszentrum an die Stelle des staatlichen, und damit ein eigenes System von 
Verantwortlichkeiten und Subordinationen. Weil die Gemeinde dem Staate eingegliedert ist, hat
	        
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