Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

296 Wilhelm von Blume, Kommunalpolitik. 
  
munalen Gemeinwesen zu ihren Mitgliedern einerseits und andererseits gegenüber dem 
Staate ins Auge fasst. Als Urbild des kommunalen Gemeinwesens ist die Gemeinde zu 
bezeichnen, von ihr ist in erster Linie zu sprechen. Die Gemeinde führt ein Sonderdasein 
und zugleich ein Dasein für den Staat. Kommunalpolitik im engeren Sinne betrifft aber 
nur diejenigen Aufgaben, die die Gemeinde für sich erfüllt. Die Aufgaben der Land- 
gemeinde werden dabei notwendig sich in manchen Einzelheiten von den Aufgaben der 
städtischen Gemeinden unterscheiden. Gemeinschaftlich aber ist ihnen das eine, dass Stadt 
und Land-Gemeinde als soziale Gebilde sich überall einschieben zwischen den Einzelnen und 
den Staat, und dass Aufgaben des Gemeinlebens von der Gemeinde übernommen werden. 
In allen Kulturstaaten zeigt sich eine fortschreitende Kommunalisierung 
des Lebens, d.h. in zunehmendem Masse werden Aufgaben übertragen auf das Gemeinwesen, 
die bisher von den Einzelnen erfüllt wurden, und in zunehmendem Masse werden andere 
Gemeinwesen durch die Gemeinden von Aufgaben entlastet. Die erste Tatsache hängt aufs 
engste zusammen mit der Entwicklung der Niederlassungsbedingungen. Je enger sich die 
Menschen zusammendrängen, je schmaler der Raum wird, auf dem der Einzelne sich be- 
tätigen kann, umsomehr ist er angewiesen auf andere, um so zahlreicher werden die Auf- 
gaben, die nicht mehr durch Einzel-, sondern durch Kommunalwirtschaft verwirklicht werden. 
Und neben die wirtschaftlichen Aufgaben treten die Aufgaben der Fürsorge für die körper- 
liche, geistige und sittliche Entwicklung des Einzelnen. Wo die Wohnungsverhältnisse so 
beengt sind, dass ein Raum zu gesunder, körperlicher und geistiger Entwicklung der 
Kinder nicht zur Verfügung steht, wo die Arbeitsverhältnisse so beschaffen sind, dass neben 
dem Manne die Frau an der erwerbenden Arbeit teilnehmen muss, da kann die Familie die 
Erziehung der Kinder nicht mehr in genügendem Masse auf sich nehmen. Es ergibt sich 
um des Gemeinwesens willen die Notwendigkeit, anderweit dafür zu sorgen, und diese Für- 
sorge fällt ganz von selbst der Gemeinde zu. Ja, auch die geistige und körperliche Pflege 
der Erwachsenen wird heute vielfach nur auf die Weise noch gefördert werden können, 
dass die Gemeinde selbst diese Aufgabe in die Hand nimmt, weil sie zu ihrer Erfüllung die 
Bereitstellung von Mitteln verlangt, die heute der Einzelne, die Familie, in weiten Kreisen 
des Volkes nicht mehr aufbringen kann. Zugleich ergibt die wirtschaftliche Entwicklung 
Bedürfnisse, die heute nur noch befriedigt werden können auf einer Grundlage, die weit 
hinausreicht über den Bezirk der Privatwirtschaft und für die sich privatrechtliche Ver- 
bände, wenn überhaupt, so doch häufig nicht unter hinreichender Wahrung der öffentliches 
Interessen bilden lassen. Die Aufgabe der Versorgung mit \\asser, mit Fleisch, mit Gas 
mit Elektrizität wird heute mehr und mehr von den Gemeinden übernommen unter Bei- 
seitedrängung des privaten Kapitils, und die Statistik ergibt, dass diese Kommunalisierung 
der wirtschaftlichen Betriebe noch lange nicht am Ende der Entwicklung angelangt ist. 
Bei der Erfüllung dieser Aufgaben wird die Gemeinde besser befähigt sein als der 
Staat, das Einzelinteresse in Einklang zu bringen mit den Gemeininteressen und zwar um des- 
willen, weil der Einzelne der Gemeinde sich stärker verbunden fühlt als dem Staate, weil 
er in der Gemeinde sich als Mitglied betrachtet, weil er von der Gemeinde das, was er 
leistet, vor seinen Augen wieder zurückvergütet erhält in Vorteilen, die in dem Gemein- 
leben erwachsen. Die Unmittelbarkeit des Verhältnisses zwischen dem Einzelnen und der 
Gemeinde ist es auch, was die Gemeinden befäliigt an der Stelle einzutreten, wo in früheren 
Zeiten die Familie oder die Kirche für den Einzelnen sorgte, heute aber nicht mehr im- 
stande ist, diese Fürsorge zu übernehmen. Des ferneren spricht zu Gunsten der Gemeinde, 
dass sie besser als der Staat die Beteiligung des Einzelnen an der Befriedigung seiner Be- 
dürfnisse ermöglicht. Die Aufgaben der Erziehung oder die Aufgaben der Befriedigung 
der wirtschaftlichen Bedürfnisse auf den Staat ganz und gar übertragen, heisst den Einzel- 
nen zum blossen Objekt aller wirtschaftlichen und aller erzieherischen Tätigkeit machen. 
Innerhalb der Gemeinden aber ist bei richtiger Gemeindeverfassung der Einzelne in der Lage 
selbst mitzuwirken an der Setzung des Ziels und an der Bereitstellung der Mittel, die zu seiner 
Erreichung erforderlich sind. :In der Gemeinde verwirklicht sich am besten der Gedanke
	        
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