Wilhelm von Blume, Kommunalpolitik. 31
Dient die Sozialpolitik der Gemeinden der Hebung der minderbemittelten Volksklassen,
so entlastet sie die Armenpflege, die eine der wichtigsten Aufgaben der Gemeinden ist
seit dem Ausgange des Mittelalters. Wie auf allen Gebieten der öffentlichen Fürsorge hat
auch auf diesem der Gedanken der Vorbeugung sich Geltung verschafft: Armenpflege heisst
heute nicht nur Beseitigung eines zeitigen Notstandes, sondern Befreiung des Bedrängten
aus der Lage, die die Not bedingt.
Eine besondere Aufmerksamkeit der an der Gemeindepolitik Beteiligten verlangt heute
die Frage der Gemeindebetriebe. Während die Gemeinden noch vor nicht allzu langer
Zeit, wenn sie wirtschaftliche Bedürfnisse befriedigen wollten, dazu allein die Rechtsform
des Kauf- oder Werkvertrags benutzten, der mit einem Unternehmer oder Händler geschlossen
wurde, gelen die Gemeinden, wie auch der Staat, jetzt dazu über, eine grosse Anzahl von
wirtschaftlichen Gemeindebedürfuissen selbst zu befriedigen, überdies aber durch Gemeinde-
betriebe den einzelnen Mitgliedern der Gemeinde Lebensbedürfnisse aller Art zu beschaffen,
so dass in gewissem Sinne eine Rückentwicklung stattfindet zu älteren Rechtszuständen, in denen
die Gemeinde in der Hauptsache ein Wirtschaftsverband war. Allerdings handelt es sich
bierbei nicht mehr wie in der Gemeinde älterer Art um landwirtschaftliche Gemeindebetriebe,
sondern es handelt sich jetzt zumeist um industrielle und Verkehrs-Unternehmungen, und die
Frage, wie weit die Gemeinde gehen darf in der eigenen Organisation solcher Unternehmungen,
ist noch heute eine offene. Es mehren sich die Stimmen, die der Entwicklung ein Halt zu-
rufen wollen, da sie für die weitere Gestaltung unserer Volkswirtschaft, wie auch unseres
öffentlichen Rechts Gefahren in der Gemeinderegie sehen. Indessen wird man sagen müssen,
dass bis heute die Entwicklung noch nicht den Punkt erreicht hat, wo ihr Einhalt ge-
boten werden muss. Die Grenze für eine gesunde Ausbildung der Gemeindebetriebe wird
erst dann gegeben sein, wenn die Gemeindebetriebe die organisatorischen Kräfte der Ge-
meinde zu übersteigen beginnen. Die Unentbehrlichkeit der Gemeindebetriebe über-
haupt ist am deutlichsten zu erkennen einerseits in der Frage der Wasserversorgung, andererseits
in der Frage der Entwicklung des Verkehrswesens. Eine zweckmässige Wasserversorgung kann
heu:e im Wege des privaten Unternehmens einfach um deswillen nicht mehr durchgeführt
werden, weil zu dieser Wasserversorgung die Herrschaft über ein grösseres Quellgebiet gehört,
die oft nur im Wege der Enteignung zu erlangen und nur unter dem Gesichtspunkt des öffentliches
Interesses richtig auszugestalten ist. Und was die Beschaffung von Verkehrsmitteln, den Bau
von Strassenbahnen insbesondere betrifit, so wird das Privatunternehmen diese immer nur unter
dem Gesichtspunkt der Erzielung möglichst grosser Einnahmen betreiben können und be-
treiben dürfen, für die Gemeinde aber kommen, wie für den Staat, hierbei ganz andere
Erwägungen in Betracht. Wie für den Staat der Bahnbau eines der wichtigsten Kriegsmittel
ist, und folglich nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Rentabilität unternommen werden
darf, so ist für die Gemeinde der Strassenbahnbau ein unentbehrliches Mittel für die richtige
Ausgestaltung des Stadtgebiets und für eine zweckmässige Besiedelung. Nur eine Gemeinde,
dia die Herrschaft über ihre Strassen und über ihre Strassenbahnen besitzt, wird in der
Lage sein. eine wirklich gesunde Boden- und Wohnungspolitik treiben zu können. Auf der
anderen Seite darf natürlich nicht verkannt werden, dass die Vermehrung des Beamten-
heeres der Gemeinden und die Bürokratisierung des Betriebes zu grossen Uebelständen
führen kann. Die Mittel, dem entgegenzuwirken, sind aber vorhanden insofern, als die
Gemeinde keineswegs gezwungen ist, die in ihren wirtschaftlichen Betrieben angestellten
Personen in das Beamtenverhältnis überzuführen, und auf der anderen Seite gerade die
Gemeinden in ihrer Organisation besonders wertvolle Mittel besitzen, um bürokratischen
Neigungen entgegenzuwirken. Denn die Verwaltungsdeputationen, in denen neben den
Berufsbeamten Stadtverordnete und Bürger mitwirken, sind wie kaum ein anderes Organ
unserer gesamten Verwaltung geeignet, in die Verwaltung den Geist hineinzutragen, der in
neuerer Zeit nicht selten für Staat und Gemeindebetriebe verlangt wird, den kaufmännischen
Geist, und damit verbunden Freiheit und Entschlossenheit.