Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Franz Dochow, Freizügigkeit. 263 
  
eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich selbst zu verschaffen imstande ist, der Aufenthalt 
verweigert oder durch lästige Bedingungen erschwert werden darf.) Einer Abänderung des Frei- 
zügigkeitsgesetzes hat es bisher nicht bedurft,!?) und es ist anzunehmen, dass sich in absehbarer Zeit 
eine Mehrheit für eine Einschränkung der Freizügigkeit im Deutschen Reiche nicht finden wird.) 
Das Jesuitengesetz!®) ist ein Ausnahmegesetz, das von seiten der Katholiken als Härte emp- 
funden wird,?) und ihrem Grundsatze entsprechend, insbesondere das Recht der Religionsgesell- 
schaften gegen Eingriffe der Gesetzgebung zu schützen,:') hört die Zentrumsfraktion nicht auf, die 
Beseitigung der noch geltenden Bestimmungen dieses Gesetzes zu erstreben, zurzeit ohne Aussicht 
auf Erfolg.) 
Ein weiteres Ausnahmegesetz, das Reichsgesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen 
der Sozialdemokratie vom Jahre 1878, war bis 1890 in Kraft. 
I. Das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz vom Jahre 1870 gilt jetzt in der Fassung 
vom Jahre 1908. Danach erwirbt den Unterstützungswohnsitz, wer nach zurückgelegtem sechs- 
zehnten Lebensjahr sich ununterbrochen ein Jahr in einem Ortsarmenverbande aufgehalten hat. 
16) Loening, Verw. R, S. 261: Während in Frankreich schon dieVerfassung vom 3. Sept. 1791 (Tit. I) die 
Freiheit eines jeden Menschen, zu reisen, sich aufzuhalten und wegzuziehen, garantiert hatte, war durch die deut- 
sche Bundesakte von 1815, Art. 18 den Angehörigen der deutschen Staaten nur die Befugnis zugesichert, in den- 
jenigen ‚Bundesstaat zu ziehen, der sie nachweislich zu Untertanen annehmen wollte. 
17) ) Abgesehen von einer unwesentlichen Änderung, die $ 2 durch das Einführungsgesetz zum B.G.B. 
erfahren ha 
2) y, . Knebel Doeberitz, Die Reform der Freizügigkeit; ein Problem der Bevölkerungspolitik, Zeitschrift 
für Politik (1909) 2,42 schlägt vor, die bestehende Gesetzgebung über die Freizügigkeit durch die Vorschrift zu än- 
dern, dass den jugendlichen Landarbeitern gesetzlich verboten werden soll, vor Erreichung eines bestimmten 
Mindestalters — nicht vor dem achtzehnten Lebensjahr, eventuell vor der Mündigkeit — in die Grossstadt zu 
verziehen. — Damit wird ein Gedanke zum Ausdruck gebracht, der vielen Interessenten an der Landeskultur ge- 
läufig ist. Das hier vorgeschlagene Mittel dürfte wohl das letzte sein, das zur Verhütung der Entvölkerung des 
platten Landes und des übermässigen Anwachsens der Städte zur Anwendung zu bringen ist. Die Erbunter- 
tänigkeit ist nun einmal abgeschafft, und es muss damit gerechnet werden, dass ein den früheren Zeiten 
ähnlicher Zustand sich nicht herbeiführen lässt. Eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit würde sohon 
deshalb nicht den erwünschten Erfolg haben, weil der zurzeit auf dem Lande herrschende Mangel ’an'ge- 
eigneten Arbeitskräften doch nur zum Teil eine Folge der Freizügigkeit iet, sondern im wesentlioben duroh 
die ungünstigen Arbeitsbedingungen verursacht ist. Es liegt daher näher, hier mit dem Reformen einzu- 
setzen, das geltende Reiohsreoht aber unverändert zu lassen. 
19) Zu den verwandten Orden und ti rechnet die Bekanntmachung des Bun- 
desrats vom 20. Mai 1873 die Kongregationen der Redemptoristen, Lazaristen und Priester vom heiligen Geiste 
und die Gesellschaft vom heiligen Herzen Jesu. 
2°) Vgl. Frins S. J. Art. Jesuiten, Staatslexikon 2,1356: Das Verhältnis der Staatsgewalt zum Orden ist 
als ein in einzelnen Ländern dem Orden höchst feindseliges zu bezeichnen. Der $ 2 ist zwar aufgehoben. Gleich- 
wohl bleiben die Jesuiten in Deutschland, ähnlich wie in Frankreich, Russland und in der Schweiz den härtesten 
Ausnahmebestimmungen unterworfen, da die auf Grund von $ 3 des Jesuitengesetzes erlassene Bundesratsver- 
fügung dem einzelnen Jesuiten jede Ordenstätigkeit untersagt. Bachem, Art. Freizügigkeit, Staatslexikon 2,329 
rechnet die Bestimmungen des Jesuitengesetzes zu den Ausnahmen von der Freizügigkeit, welche als grosse Wider- 
sprüche zu bezeichnen sind, durch welche aus besonderen, nicht in der Sache liegenden Gründen politischer Natur 
und ebenso kurzsichtigen wie engherzigen Charakters die Freizügigkeit aufgehoben ist. — Bek. d. Reichsk. 
vom 5. Juli 1872 (R.G.Bl. S. 254), dazu Eeschl. d. Reichsk. vom 28. Nov. 1912 (R.G.Bl. S. 553): Ver- 
botene Ordenstätigkeit ist jede priesterliche oder sonstige religiöse Tätigkeit gegenüber an 'oren sowie die 
Erteilung von Unterricht. Unter die verbotene religiöse Tätigkeit fallen nicht, sofern nicht landesherrliche 
Bestimmungen entgegenstehen, das Lesen stiller Messen, die im Rahmen eines Famil:enfestes sich halten 6 
Primizfeier und dıs Spenden der Sterlesakramente. Nicht untersagt sind wissenschaftliche Vorträge. die 
das religiöse Gebiet nicht berühren. Die schriftstellerische Tätigkeit wird durch das Verbot nicht betroffen. 
21) Programm der Zentrumsfraktion des Deutschen Reichstags vom 21. Mai 1871 Ziffer 2: für die bürger- 
liche und religiöse Freiheit aller Angehörigen des Reichs ist die verfassungsmässige Feststellung von Garantien 
zu erstreben und insbesondere das Recht der Religionsgesellschaften gegen Eingriffe der Gesetzgebung zu schützen. 
22) Dagegen ist das Reichsgesetz, betr. die Verhinderung der unbefugten Ausübung von Kirchenämtern, 
vom 4. Mai 1874 durch G. vom 6. Mai 1890 aufgehoben.
	        
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