Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

264 Karl Bücher, Die Presse. 
  
Diese Frist betrug ursprünglich zwei Jahre, und während noch die Novelle des Jahres 1894 das 
vollendete achtzehnte Lebensjahr verlangte, war ursprünglich das vierundzwanzigste Lebensjahr 
vorgesehen. Durch diese Herabsetzungen hat man der wirtschaftlichen Entwicklung, namentlich 
dem Abzug der ländlichen Bevölkerung nach den Industriestädten Rechnung getragen. Die länd- 
lichen Heimatgemeinden haben ein armenrechtliches Interesse daran, dass die Personen, die sie 
doch an die Städte verlieren, möglichst bald den Unterstützungswohnsitz ihres neuen Aufenthalts- 
ortes erwerben.®) 
Das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz gilt seit 1909 in Helgoland und seit 1910 auch 
inElsass-Lothringen, mithinim ganzen Deutschen Reiche mit Ausnahme von Bayern.?*) Im Interesse 
der Armenpflege der bayrischen Gemeinden steht zu hoffen, dass bald eine Ausdehnung des Reichs- 
gesetzes auch auf Bayern erfolgt. 
19. Abschnitt. 
Die Presse. 
Von 
Geh. Hofrat Dr. Karl Bücher, 
o. Professor der Staatswissenschaften an der Universität Leipzig. 
Unter Presse im Sinne dieser Darstellung wird die Gesamtheit der periodisch erscheinenden 
Druckschriften verstanden, welche die Veröffentlichung neuer Nachrichten zum Zwecke haben. 
Mit der Veröffentlichung verbindet sich in der Regel eine Besprechung der neuesten Geschehnisse, 
teils zum Zwecke der Aufklärung der Leser, teils zu ihrer Willensbeeinflussung. Insofern jene Nach- 
richten sich vorzugsweise auf das Leben des Staates und der Gesellschaft beziehen, erlangt die 
Presse eine hohe politische Bedeutung. Sie wird zu einem Leitorgan, durch das die geistigen Strö- 
mungen zwischen Volk und Regierung vermittelt werden, durch das aber auch die Parteien der 
Volksvertretung mit den Massen der Bevölkerung in Verkehr treten, Anregungen unter ihnen ver- 
breiten, wie sie anderseits solche von ihnen empfangen. 
Aber mit dieser Charakteristik ist das Wesen der modernen Zeitungspresse keineswegs er- 
schöpft. Gehört sie doch zu jenen sozialen Erscheinungen, welche, anfänglich für einen beschränkten 
Zweck geschaffen, im Lauf einer langen geschichtlichen Entwicklung immer neue Aufgaben über- 
nommen haben, so dass ihr ursprüngliches Wesen im einzelnen Falle stark zurücktreten oder bis 
zur Unkenntlichkeit verwischt sein kann. Zwar ihre ältesten Erscheinungsformen, die Staats- 
zeitungen der Römer und der Chinesen, tragen bereits eine Doppelnatur. Sie sind ebensowohl be- 
stimmt, die Völker grosser Reiche mit den Entschliessungen und Befehlen der Zentralgewalt be- 
kannt zu machen, als auch sie über wichtige Vorgänge zu unterrichten, die nicht immer politischer 
Natur zu sein brauchten. Ihre Wirksamkeit hat sich wohl immer auf die herrschende Schicht der 
22) Der Beginn der wirtschaftlichen Selbständigkeit wurde den heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen 
entsprechend auf das vollendete sechszehnte Lebensjahr festgesetzt, obwohl ein Teil der jungen Leute schon nach 
dem Verlassen der Schule in die Stadt zieht, also nach vollendetem vierzehnten Lebensjahr. — Bei einer einjährigen 
Frist wurdo es deshalb belassen, weil angenommen wurde, dass sich erst nach einem Jahre entscheiden lässt, ob der 
Zugezogene sich zum längeren Aufenthalt entscheiden wird. 
2) Die Einführung des Unterstützungswohnsitzgesetzes ist in Bayern noch nicht erfolgt, steht aber 
nahe bevor (vgl. R.G. vom 30. Juni 1913, R.G.B. S. 495).
	        
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