Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Max Fleischmann, Die waterielle Gesetzgebung. 989 
  
schaft zur systematischen Sammlung und kritischen Sichtung des ausländischen Materials aufge- 
rufen. Mit dem Auslande wird Fühlung auch insofern gehalten, als in Staatsverträgen mehrfach 
die Staaten sich verpflichtet haben, einander die einschlagenden Gesetze mitzuteilen. Statistische 
Erhebungen bilden die notwendige Ergänzung der Vorbereitung auf den verschiedensten Gebieten 
gesetzlicher Tätigkeit. 
In weitem Umfange werden aber heute die Interessenten schon für die Vorbereitungen 
herangezogen. Dazu dienen in erster Reihe Anträge und Äusserungen der Selbstverwaltungs- 
organe, ferner der Berufsvertretungen, namentlich der amtlichen, wie Handels-, Handwerks-, 
Landwirtschaftskammer, Ärzte-, Apotheker-, Anwaltskammer, Gewerbe- und Kaufmannsgerichte 
usw. Diese Aufgabe ist ihnen geradezu gesetzlich zugewiesen (z. B. $ 103g Gewerbeordnung). Freie 
Berufsvereinigungen — dahin zählen auch Verbände, wie der Verein für Sozialpolitik oder der 
deutsche Juristentag — wirken, zuweilen noch kräftiger, in derselben Richtung; sie sind manchmal 
der Regierung unangenehme Dränger, deren Wert auch nicht immer rechtzeitig erkannt worden ist. 
In ihrer Sachkunde liegt ein unersetzbarer Faktor für die sachgemässe Festlegung des Gesetzes- 
inhalts. Aus Petitionen ferner oder durch amtliche Enqueten®) wird brauchbarer Stoff geschöpft. 
Und schliesslich bieten Unzuträglichkeiten in der Rechtsprechung nicht minder wie eine bestimmte 
gerichtliche Praxis, die sich bewährt hat und die man nicht antasten lassen will, eine Handhabe 
für die Gesetzgebung: der Richter ist der Pionier der Gesetzgebung. Ein weiterer Schritt zur un- 
mittelbaren Nutzbarmachung der für das Gesetzgebungswerk geeigneten Kräfte ist ihre Heran- 
ziehung zu beratenden Kommissionen wie sie sich für die Vorbereitung internationaler Verträge 
besonders da, wo mannigfache nationale Wirtschaftsinteressen sich kreuzen und Berücksichtigung 
fordern, s°) längst als förderlich erwiesen haben. Das grosse Werk der Privatrechtskodifikation 
bietet in dieser Hinsicht für den Gang der Gesetzgebung Erfahrungen, die als Prüfstein gelten 
können für die Mitwirkung der interessierten Faktoren bei der Schaffung des Rechtsstoffes sowohl 
wie für die formale Bewältigung.) Dem reiht sich die Reform der Strafgesetzgebung jetzt an. 
Als Schlussglied in dem vorbereitenden Verfahren kann die Zuweisung des Entwurfs vor 
die Kritik der Öffentlichkeit dienen, die sich bei grösseren Gesetzgebungswerken 
empfehlen wird; sie ist schon in der friderizianischen Epoche erprobt worden und bildet heut eine 
der vornehmsten Aufgaben der periodischen Presse, mag auch dabei manches Wort eines weniger 
Berufenen in den Kauf genommen werden müssen. Zum kräftigst wirkenden Gegenmittel kann 
hier dann die Aufstellung eines privaten Gegenentwurfs werden. 
Weit weniger als die Staatsregierung hat das Parlament die Möglichkeit, den Stoff heran- 
zuschaffen. Es wird sich deshalb zumeist auf Anregungen beschränken (Resolution) und auf Über- 
mittelung der Petitionen als Material oder zur Berücksichtigung. Dem Parlamente liegt weniger 
das Stoffliche in diesem Sinne als das Kritische (Amendement) ob. Die nordamerikanische 
Parlamentspraxis kann durch den Gegensatz, um nicht zu sagen die Karrikatur, dies nur be- 
stätigen.%) 
3. Formulierung des Gesetzes.®) 
Ein herbes Urteil fällt einmal v. Lis z t über die legislative Technik bei unserer Strafgesetz- 
gebung: sie sei ihr mehr und mehr abhanden gekommen, jeder innere Zusammenhang zwischen 
4) z. B. über Tabaksteuer, die Börse, das Bankwesen; oder Enquete veranstaltet zur Feststellung der 
Wünsche der beteiligten Kreise der Bevölkerung inbezug auf die Reform der inneren und der Finanzverwaltung 
— nämlich in Österreich (veröffentlicht Wien 1913). 
50) Über den „‚Wirtschaftlichen Ausschuss“ bei der Vorbereitung der Handelsverträge vgl. Lusensky 
im Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts? II, 1912 S. 339, 358. 
st) Vgl. Stoerk, das bürgerliche Gesetzbuch und der Gesetzgebungsapparat des deutschen Reiches, 1899, 
und (zugleich für das folgende) E. J. Bekker, System und Sprache des Entwurfes eines BGB. 1888. 
5%) In der Session 1909/10 soll die Anzahl der bills im Repräsentantenhause 27000 betragen haben (Freund, 
das öffentl. Recht. d. V. St. von Amerika 1911 S. 112); vgl. noch Journal du droit international prive 1908 S. 297. 
2) Zu meiner Freude haben die hier in der 1. Auflage vertretenen Gedanken mehrfach uneingeschränkte 
Zustimmung durch wörtliche Wiedergabe gefunden (Rumpf in „‚Rechtund Wirtschaft‘‘ 1912 S. 474, Dein- 
hardtin der Zeitschrift des Allgemeinen deutschen Sprachvereins 1913 Nr. 4 S. 113). Die literarische Behand- 
Handbuch der Pulirik. Il. Auflage. I. Band. 19
	        
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