Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

302 Paul Schoen, Die Verordnungen. 
Staates ausgeht.!) Als Verordnung im materiellen Sinne bezeichnet man im Gegensatze zum Ge- 
setze im materiellen Sinne jede bestimmte Tatbestände allgemein (vgl. unten unter Ziff. 2) ordnende 
Norm, die keine Rechtsvorschrift (s. oben 8.285) enthält, sondern sich im Rahmen der geltenden 
Rechtsordnung bewegt. Besondere Pflichten innerha 1b der allgemeinen Rechtsordnung kann 
der Staat aber nur Personen auferlegen, die in einem besonderen Unterordnungsverhältnisse zu 
ihm stehen, und das sind in erster Linie die Beamten, sodann aber auch gewisse nicht beamtete 
Personenkategorien, wie besonders die in militärischen Dienstverhältnissen stehenden Untertenen 
und Personen, die öffentliche Anstalten benutzen und damit in einen besonderen Machtkreis der 
öffentlichen Verwaltung treten. — Der Ausdruck formelle Verordnung zielt also lediglich auf eine 
bestimmte Form, ein bestimmtes Zustandekommen einer staatlichen Willenserklärung ab, während 
der Ausdruck materielle Verordnung allein den Inhalt einer staatlichen Willenserklärung charak- 
terisiert. Eine no‘wendige Wechselbeziehung zwischen beiden Bezeichnungen besteht nicht. Eine 
staatliche Willenserklärung, die in formeller Hinsicht als Verordnung erscheint, braucht inhaltlich 
eine solche nicht zu sein; sie kann eine Rechtsnorm enthalten und ist dann materiell ein Gesetz, 
wie dieses z. B. bei allen Polizeiverordnungen der Fall ist. Auf dieser möglichen Inkongruenz 
zwischen Inhalt und Form beruht die Einteilung der formellen Verordnungen inVerwaltungs- 
verordnungen und Rechtsverordnungen, die von praktischem Werte besonders 
für die Frage nach der Zuständigkeit der Staatsorgane zum Erlasse von Verordnungen ist. In der 
amtlichen, namentlich in der modernen Gesetzes-Sprache wird das Wort Verordnung gewöhnlich 
im formellen Sinne gebraucht, handelt es sich hier doch regelmässig entweder darum, dass die 
Regelung einer Angelegenheit auf den Verordnungsweg verwiesen wird, oder dass das formelle 
Zustandekommen einer Verordnung normiert oder nachgeprüft wird. Der materielle Verordnungs- 
begriff entbehrt darum aber nicht der praktischen Bedeutung: er grenzt das selbständige Ver- 
ordnungsrecht der Regierung ab gegen die Sphäre der konstitutionellen Gesetzgebung. Im 
folgenden ist das Wort Verordnung nur im formellen Sinne gebraucht. 
2. Vonder Verfügung, die gleich der Verordnung eine obrigkeitliche staatliche Willens- 
erklärung ist, unterscheidet sich die Verordnung durch die Allgemeinheit ihres Inhaltes. Die 
Verordnung gibt eine allgemeine Regel für die Ordnung der in ihr angegebenen Tatbestände, sie 
enthält eine abstrakte Norm und schafft, wenn diese Norm in den Rechtsstand der Regierten 
eingreift (Rechtsverordnung), objektives Recht. Die Verfügung dagegen ordnet einen konkreten 
Einzelfall oder eine Summe einzelner Fälle nach Massgabe des bestehenden Rechtes. Sie ist ein 
Gebot, das sich an dem einzelnen Falle erschöpft, das der Realisierung einer objektiven Norm dient, 
aber nie eine neue objektive Norm schafft. In dieser Weise werden heute in der Literatur die Be- 
griffe Verordnung und Verfügung fast allgemein bestimmt und gegen einander abgegrenzt, dem 
amtlichen und besonders auch dem gesetzlichen Sprachgebrauche wird diese Begriffsbestimmung 
allerdings nicht immer gerecht. Er geht vielfach dahin, alle von der obersten Stelle im Staate aus- 
gehenden Anordnungen als Verordnungen zu bezeichnen, auch solche, die einen Einzelfall regeln,?) 
während Anordnungen der Zentral- und anderer höheren Behörden, die den Dienstbetrieb der ihnen 
unterstellten Organe regeln, trotz ihrer über den Einzelfall hinausgehenden Bedeutung gewöhn- 
lich als Verfügungen oder als Generalverfügungen oder Zirkularverfügungen bezeichnet werden. 
ı) Diese Begriffsbestimmung sieht naturgemäss hinweg über einen vereinzelt dastehenden partikulären 
Sprachgebrauch, wie den der bayerischen Landesgesetzgebung, nach dem nur landesherrliohe Anordnungen der 
bezeichneten Art „Verordnungen“ genannt, solche der dom Landesherrn untergeordneten Stellen dagegen stets 
mit anderen Namen (Erlasse, Vorschriften u.s. w.) belegt werden; bayer. Pol.Str.Ges.B. 1871 Art.1,8,10,v.Soydel, 
St.R. 1I. S. 328. Für die allgemeine wissenschaftliche Betrachtung fallen auch die von den verschiedenen baye- 
rischen Behörden erlassenen Anordnungen oben angegebener Art unter den Gattungsbegriff der Verordnung. 
2) So werden z. B. im Reiche wie in Preussen zahlreiche Anordnungen des Kaisers bezw. Königs, die der 
ubigen Begriffsbestimmung nach zweifellos Verfügungen sind, als Verordnungen bezeichnet, so die Anordnungen, 
durch welche der Reichs- oder Landtag einberufen wird, durch welohe der König Personen mit erblicher Bereoh- 
tigung in das Herrenhaus beruft (Vdg. 12. Okt. 1854 $ 2 Abs, 2), durch die er die Enteignungsbefugnis verleiht 
(Ges. 11. Juni 1874 $2) uw. a. Ganz ähnlich in Sachsen (Naohweisungen bei 0. Mayer, Sächa.St.R. i. Öffentl. 
R. d. Gegenwart IX S. 185) und anderen Staaten,
	        
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