304 Paul Schoen, Die Verordnungen.
zu befriedigen; und sie können auch nicht immer so schnell funktionieren, wie das Staatsrecht es
unter Umständen erfordert. Aus diesen Momenten schon ergibt sich das Bedürfnis nach den all-
gemeinen Ermächtigungen, die am häufigsten in den Gesetzgebungen begegnen: den Ermächti-
gungen zu Ausführungsverordnungen, Polizeiverordnungen und Notverordnungen.
III. Hinsichtlich ihres Inhaltes sind alle Verordnungen dem formellen
Gesetze untergeordnet, indem dieses ihren möglichen Inhalt entweder bestimmt oder
doch negativ begrenzt. Überall, wo ein Verordnungsrecht auf gesetzlicher Delegation beruht, kann
der Inhalt der zu erlassenden V' erordnung durch das delegierende Gesetz spezieller oder allgemeiner
bestimmt sein; alle Ermächtigungen zum Erlasse von Ausführungsverordnungen zu bestimmten
Gesetzen konstituieren schon der Natur der Sache nach lediglich « ein inhaltlich bestimmtes Ver-
ordnungsrecht. \o es aber an einer solchen inhaltlichen Bestimmung des Verordnungsrechtes fehlt,
wie z. B. bei dem ohne besondere gesetzliche Grundlage bestehenden Verordnungsrechte oder dem
Verordnungsrechte der unteren und mittleren Polizeibehörden in Preussen, findet dieses doch immer
seine Schranke am formellen Gesetze. Aus der dem formellen Gesetze innewohnenden sog. formellen
Gesetzeskraft (vgl. oben S. 285) folgt, dass alle Verordnungen sich innerhalb der von der formellen
Gesetzgebung aufgestellten Normen zu halten haben. Nur wenn das formelle Gesetz selbst einer
Verordnung ausdrücklich die Kraft beilegt, Gesetzesrecht zu brechen (Verordnungen mit Gesetzes-
kraft), wie dieses besonders bei den Notverordnungen (vgl. unten S. 302) der Fall ist, kann die
Verordnung Gesetzesrecht beseitigen und abändern.
IV. Der eigentliche Träger des staatlichen Verordnungstechtes ist
inden monarchischen Einzelstaaten der Landesherr als der Chef der Exekutive.
Er kann alle Verordnungen erlassen, die nicht gesetzlich ausdrücklich einem anderen Staatsorgane
zugewiesen sind. Die Staatsbehörden dagegen können, soweit es sich nicht lediglich um Ausübung
der Dienstgewalt handelt (vgl. unten S. 297), das Verordnungsrecht nur auf Grund ausdrücklicher
Ermächtigung ausüben. Ob der Landesherr oder das andere mit dem Verordnungsrechte gesetzlich
betraute Organ befugt ist, ein ihm unterstelltes Organ zum Erlasse der Verordnung zu ermäch-
tigen, ist bestritten. Die herrschende Auffassung in der Theorie und die Praxis hält eine solche
Delegation für zulässig, soweit nicht die Intention des Gesetzgebers im einzelnen Falle offensicht-
lich eine andere ist.) In den freien Städten wird das Verordnungsrecht vom Senate
ausgeübt. In Reiche ist der Bundesrat der präsumtive Träger des Verordnungsrechtes und
daher berufen, die Reichsverordnungen zu erlassen, sofern nicht ein anderes Organ damit betraut
ist. Allerdings ist dem Bundesrate diese allgemeine Kompetenz nicht durch eine positive Be-
stimmung der R.-Verf. beigelegt: Art. 7 Ziff. 2 ermächtigt ihn nur zur Beschlussfassung ‚über die
zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Ein-
richtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas anderes bestimmt ist“, legt ihm also nur das
Recht bei, Ausführungsverordnungen zu erlassen, und zwar nur solche, die materiell Verwaltungs-
verordnungen sind$) (über diese vgl. unten VIII Ziff. 1). Allein aus der allgemeinen verfassungs-
6) Vgl. bes. Arndt, Verordnungsrecht S. 169 ff, wo auch die Praxis für Preussen und das Reich ein-
gehend nachgewiesen ist; Jellineka.n. 0.8.392; Sohulzea.a.0.8.30; Loening a. a. O.S. 229,
And. Ans. Labandn2.2.0.5.96, Zorna.a. 0. S. 491. Jedenfalls spricht für die Zulässigkeit der Delegation
auch die praktische Erwägung, dass die staatsrechtliohe Verantwortlichkeit für die Verordnung immer dieselbe
bleibt, d. b. vom Minister getragen wird, gleichgültig ob die Verordnung vom Landesherrn, vom Minister oder
einer diesem unterstellten Behörde erlassen wi
©) Bestritten. Ebenso besonders Labanda.0.0.8.83 ff.;v.Seydel, St.R. S. 345, Komın. S. 139 ff.;
O. Mayera... O. S. 436 und in neuester Zeit auch die Praxis des Reichsgerichtes (Entsoh. i. Zivils. 40 S. 70)
und des Bundesrates selbst (v. Jagemann, D. dtsche. R.Verf., S. 94). Abweichend hiervon nehmen
dagegen unter anderen G. Meyer 0.2.0. S.604'3, Anschütz, Enzykl.S. 165; Zorna.a.O. S. 4851?
und, mit umfänglicher Begründung ihrer Ansicht, besonders Arndt, Verordnungsreoht, S. 35 ff. und Haonel,
Stud. S 79ff., St.R. I S. 282 ff. an, dass der Bundesrat auf Grund der Ermächtigung des Art. 7 Ziff. 2 auoh
Rechtsverordnungen erlassen könne. Diese Ansioht widerspricht dem klaren Wortlaute der Verf. „Ver-
waltungs vorschriften“. Gegen die Meinung Haenels und Arndts, dass das Wort „Verwaltungs-