Paul Schoen, Die Verordnungen. 305
rechtlichen Stellung des Bundesrates (vgl. oben S. 290, c) folgt, dass wie in allen Reichsregierungs-
angelegenheiten so auch hinsichtlich des Verordnungsrechtes — vorausgesetzt natürlich immer, dass
ein solches überhaupt begründet ist — die Vermutung der Zuständigkeit für ihn spricht. Der
Kaiser, der Reichskanzler und andere Reichsbehörden sind dagegen, soweit es sich nicht lediglich
um Ausübung der Dienstgewalt handelt (vgl. unten 297), nur auf Grund ausdrücklicher gesetzlicheı
Kompetenzerklärung befugt, Verordnungen zu erlassen,?) wie solche in zahlreichen Reichsgesetzen,
für den Kaiser schon in der R.-Verf. selbst (Art. 50, 53, 63 Abs. 5) gegeben ist. Auch die Einzel-
staaten oder bestimmte einzelstaatliche Behörden können auf Grund reichsgesetzlicher Delegation
als Träger des Reichsverordnungsrechtes fungieren; die von ihnen auf Grund solcher Delegation
erlassenen Verordnungen haben reichsrechtliche Kraft, d.h. sie brechen das Landesrecht (vgl. oben
S. 286). In Elsass-Lothringen wird das dem Verordnungsrechte in den Einzelstaaten
entsprechende sog. Landesverordnungsrecht, sofern gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, von dem
Kaiser ausgeübt, da dieser der Träger der Staatsgewalt in den Reichslanden ist. (Verf.Ges.
31. Mai 1911 Art. II $ 1).
V. Rechtsverordnungen bedürfen, da sie verbindliche Kraft für die Untertanen erhalten
sollen, einer Verkündigungin dem oben $. 289 angegebenen Sinne. Die Frage, wo diese statt-
zufinden hat, lässt sich nicht einheitlich beantworten, besonders auch nicht dahin, dass sie, da die
Rechtsverordnungen materiell Gesetze sind, wie die der formellen Gesetze, also in der Gesetzsamm-
lung zu geschehen habe. Dieses ist in mehreren Staaten für bestimmte Gruppen von Verordnungen
allerdings gesetzlich vorgeschrieben in Preussen z. B. für die königlichen Verordnungen, in Sachsen,
Baden für die landesherrlichen und die ministeriellen;; allein gerade daraus, dass die einzelstaatlichen
Gesetzgeber diesen Publikationsmodus für bestimmte Arten von Verordnungen vorschreiben,
folgt, dass sie ihn nicht als den aus der Natur der Sache folgenden ansehen, und man wird annehmen
müssen, dass, wo er oder ein anderer Publikationsmodus nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, der
zum Erlasse der Verordnung Berufene selbst den Publikationsmodus bestimmen könne. Dieser
Grundsatz gilt naturgemäss auch für das Reich. Hier aber ist überhaupt nicht, auch nicht für eine
einzelne Gruppe von Verordnungen, ein bestimmter Publikationsmodus gesetzlich vorgeschrieben,
und daher hat der Verordnende hier, sofern nicht das delegierende Gesetz den Publikationsmodus
ordnet, in der Wahl dieses stets freie Hand. In der Praxis werden denn auch nur die kaiserlichen
Verordnungen (gemäss Präsidial-Vdg. 26. Juli 1867) regelmässig im Reichsgesetzblatt publiziert,
während der Bundesrat seine Verordnungen seit 1873 gewöhnlich im „Zentralblatt für das Deutsche
Reich‘ veröffentlicht.8)
Eine Verwaltungsverordnung braucht dagegen nicht formell an die Allgemeinheit ver-
kündigt zu werden; sie wird für die Behörden und Beamten, die sie angeht, verbindlich, sobald
vorschriften“ nicht bedeute Vorschriften für die Verwaltung, sondern einen subjektiven Sinn habe und die-
jenigen Vorschriften bezeichne, „welche nicht von den gesetzgebenden Faktoren, sondern von der „Verwaltung“,
von den mit der vollziehenden Verwaltung betrauten Organen des Staates getroffen werden“, m. E. richtig
Laband.a.o. O. S. 87, 88.
?) Ob der Kaiser das ihm übertragene Verordnungsrecht dem Reichskanzler und dieser das ihm gesetz-
lich zugewiesene einer ihm ist bestritten. Dasoben S. 295, IV. Bemerkte
gilt auch hier. Das dem Bundesrate zustehende Verordnungsrecht kann dagegen zweifellos nicht von diesem dem
Reichskanzler oder einer anderen Reiohsbehörde delegiert werden.
8) Diese Publikation hält für ausreichend auch das Reichsgericht (Entsch. i. Ziv.S. Bd. 40 S. 68 ff.; 48
S. 84 ff.); anders dagegen Laband (St.R. II S. 99 ff.) und eine Reihe von Schriftstellern, die unter der Behaup-
tung, das Wort „Reiohagesetze‘‘ sei in Art. 2 Satz 2 R.V. im materiellen Sinne gebraucht, meinen, auch Rechts-
verordnungen des Reiches erhalten verbindliche Kraft nur durch Verkündigung im R.G.Bl. Die Ansicht des
Reichsgesetzgebers ist dieses aber jedenfalls nicht, da von ihr aus die in verschiedenen Reichsgesetzen sich fin-
dende ausdrückliche Anordnung, eine bestimmte Ausführungsverordnung solle im R.G.Bl. publiziert werden,
überflüssig und unverständlich wäre. Über den Stand der Frage G. Meyer, St.R. 8. 574°. Ist übrigens die hier
vertretene Auffassung richtig, so können auch kaiserliche Verordnungen anderswo als im R.G.Bl. rechtswirksam
publiziert werden; die oben gen. Präs.-Vdg. stebt dem nicht entgegen, da das Präsidium seine eigenen Vdgn.
jederzeit abändern kann.
Handbach der Politik. IT. Auflage. Band I. 20