Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

310 Paul Schoen, Die Verordnungen. 
  
solche Ermächtigungen erteilt, und zwar dieses sowohl an seine eigenen Organe wie an Polizei- 
behörden der Einzelstaaten, welche letzteren auf Grund solcher Delegation polizeiliche Normen 
setzen, die materiell Reichsrecht sind (vgl. oben S. 296 Ziff. IV a. E.). Inhaltlich weichen diese 
Ermächtigungen vielfach von einander ab; besonders folgende Unterschiede treten hervor: 
a) Die Ermächtigung ist eine allgemeine oder spezielle, je nachdem sie die Polizeibehörde 
ganz allgemein, d. h. soweit ihre polizeiliche Zuständigkeit reicht, oder nur für bestimmte im 
Gesetze ausdrücklich bezeichnete Einzelmaterien zum Erlasse von Strafverordnungen ermächtigt; 
b) die Ermächtigung legt weiter der Polizeibehörde entweder die Befugnis bei, sowohl die 
polizeilich strafbaren Tatbestände zu fixieren wie auch innerhalb gesetzlich festgelegter Grenzen 
die Strafen anzudrohen, oder nur das Recht, die Tatbestände zu formulieren, die einer durch Gesetz 
bereits festgesetzten Strafe unterstellt werden sollen. — Die Gesetzgebungen der deutschen Einzel- 
staaten haben sich meist prinzipiell für eine dieser Delegationsarten entschieden und die andere 
nur ausnahmsweise angewandt. In den Staaten Bayern, Württemberg und Baden, die umfassende 
Kodifikationen des Polizeistrafrechtes in ihren Polizeistrafgesetzbüchern besitzen, sind den Polizei- 
behörden nur spezielle Ermächtigungen erteilt, und auch diese gehen nur auf genauere Bestimmung 
des gesetzlich im allgemeinen fixierten Tatbestandes, nicht auch auf die Straffestsetzung, die im 
Gesetze selbst enthalten ist. Nur für Fälle dringender Gefahr sind in Bayern dem Könige, in Baden 
den höheren Verwaltungsbehörden allgemeine, und dann auch auf die Straffestsetzung sich er- 
streckende Delegationen erteilt (bayer. Pol.Str.G.B. Art. 9, bad. Pol.Str.G.B. $ 29). In Preussen, 
Sachsen, Hessen und den meisten anderen norddeutschen Staaten dagegen sind die Polizeibehörden 
grundsätzlich ermächtigt, im sachlichen Gesamtumfange ihres polizeilichen Wirkungskreises Polizei- 
verordnungen zu erlassen, wie auch die Strafen innerhalb der gesetzlich gezogenen Grenzen fest- 
zusetzen. Spezielle Delegationen bilden hier vereinzelte Ausnahmen (vgl. unten S. 302). Das Reichs- 
recht hat regelmässig (z. B. in der Gewerbeordnung $$ 120e, 147% und im Strafgesetzbuche $ 145) 
our spezielle Ermächtigungen und auch nur die Befugnis, den Tatbestand zu formulieren, erteilt; 
nur die Bundeskonsuln und für die Schutzgebiete den Reichskanzler und dessen Subdelegatare hat 
es!9) allgemein ermächtigt, innerhalb ihres polizeilichen Wirkungskreises Polizeiverordnungen, und 
zwar auch mit der Befugnis selbständiger Straffestsetzung, zu erlassen — überhaupt nicht um selb- 
ständige reichsrechtliche Delegationen, sondern um Verweisung auf landesgesetzliche Delegati 
handelt essich richtiger Ansicht nach bei densog. Blankettstrafgesetzen. In Elsass- Lothringen ist 
nach dem fortgeltenden französischen Rechte die Delegation überall auf die Tatbestandsformulierung 
beschränkt, im übrigen ist die der Bezirkspräsidenten eine generelle, die der Ortspolizeibehörden eine 
spezielle, jedoch so umfassende, dass sie tatsächlich einer allgemeinen gleichkommt. Die deutsche 
Gesetzgebung hat weiter dem Ministerium Spezialdelegationen für Berg-, Jagdpolizei u. a. erteilt. 
Selbstverständlich findet alles Polizeiverordnungsrecht seine 
Grenze am polizeilichen Interesse, das stets nur auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen 
Ruhe, Sicherheit und Ordnung und die Abwehr der der Allgemeinheit und den Einzelnen drohenden 
Gefahren gerichtet ist. Daher können auch Polizeibehörden, die ganz allgemein zum Erlasse von 
Polizeiverordnungen ermächtigt sind, von ihrem Verordnungsrechte nur da Gebrauch machen, 
wo es sich um den Schutz gerade dieser Interessen handelt; und nicht auch — sofern ihnen eine 
solche Befugnis nicht etwa, wie neuerdings in Preussen durch das Ges. gegen Verunstaltung land- 
schaftlich hervorragender Gegenden 2. Juni 1902, ausdrücklich beigelegt ist — um die Duroh- 
setzung anderer, etwa pfleglicher oder finanzieller Verwaltungsinteressen zu sichern. Eine weitere 
Grenze, die dem möglichen Inhalte aller Polizeiverordnungen gezogen ist, ergibt sich daraus, dass 
ihre Rechtsvorschriften lediglich auf Grund der gesetzlichen Ermächtigung verbindlich sind. Die 
Polizeiverordnung darf daher keine Bestimmungen enthalten, die über diese Ermächtigung hinaus- 
gehen, insbesondere, soweit die Ermächtigung nicht etwas anderes gestattet, keine Normen, die mit 
übergeordneten Rechtsvorschriften, wie es vor allem die Gesetze und diePolizeiverordnungen höherer 
Polizeibehörden sind, in Widerspruch stehen. Um die Innehaltung dieser Grenze zu sichern, sind die 
niederen Polizeibehörden gesetzlich verpflichtet, ihre Verordnungen alsbald der höheren Polizei- 
behörde zur Kenntnisnahme vorzulegen, die die Verordnung eventuell ausser Kraft setzen kann 
1%) Reichsgesetz über die Konsulargerichtsbarkeit 7. April 1900 $ 51; Schutzgebietsgesstz 25. Juni 1900 $ 16.
	        
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