Fünftes Hauptstück.
Die Rechtsprechung.
23. Abschnitt.
a) Justiz und Verwaltung.
Von
Hochschulprofessor Dr. Fritz Stier-Somlo, Cöln.
Literatur:
Q. v rwey, emeines Verwaltungsrecht 1887 S. 14 ff. — Anschütz, Justiz und Yorwaltung.
Systematische Re ech temhsonse aft von Stammler, Sohm u. a. (Kultur der Gegenwart Teil II Abt. VIII 1906
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S
S Stier-Somlo, Das freie Ermessen in Rechtsprechung und Verwaltung 1908; . Lau n, Das
fieie Ermessen und seine Greuzen 1910, dazu W. Jellinek, Arch. f. öff.R., Bd. 278,462. — Stier-Somlo,
Rechtsstaat, Verwaltung und Eigentum 1911. — Oertman n, Die staatsbürgerliche Freiheit und das freie
Ermessen der Behörden 1912. — Friedrich Stein, Grenzen und Beziehungen zwischen Justiz und Ver-
waltung 1912. — Heck, Das Problem der Rechtsgewinnung 1912.
X. Begriff der Gesetzgebung, Justiz. Verwaltung. — Teilung der Gewalten. —
Gegenseitige Bedingtheit. Die Grundfragen des gegenseitigen Verhältnisses und der not-
wendigen Abgrenzung von Justiz und Verwaltung gehen auf den Lebenskern moderner
konstitutioneller Staatsgestaltung zurück. Zwar hat schon Locke für die von uns
als einheitlich und einzigartig anzuerkennende Staatsgewalt Einteilungsmassstäbe gewinnen
wollen, indem er die gesetzgebende, rechtsprechende und föderative Funktion unterschied.
Aber erst durch Montesquieu ist die Unverlierbarkeit der Idee von der Trennung der Ge-
walten gesichert und auch die Erkenntnis ihrer besonderen organisatorischen und funktionellen
Bedeutung in das Bewusstsein der politisch Denkenden eingedrungen. Gesetzgebung oder
Legislative besteht in dem Erlasse von Rechtsnormen durch die verfassungsmässigen Organe
der Staatsgewalt. Sie sind allgemein und abstrakt, d. h. für alle, die es angeht, gleichmässig an-
zuwenden. Die Justiz im S.nne von Rechtsprechung besteht in der Handhabung der von der
Gesetzgebung dargebotenen Rechtssätze und anderen Vorschriften. Justiz im Sinne der Aufrecht-
erhaltung unserer Rechtsordnung, d. h. der Ahndung der Rechtsverletzung und Gewährung des
Rechtsschutzes durch Zivil-, Straf- und Verwaltungsgerichte ist darüber hinaus ein weiterer, mit dem
ersten nicht zu verwechselnder Begriff. Verwaltung istdie Tätigkeit des Staates, die sich in der
zweckmässigen Anordnung der für das Gemeinwohl erforderlichen Massnahmen, in der Sorge für die
Volks- und Staatsinteressen ausserhalb der Gesetzgebung und Justiz erschöpft. Sie regelt im
wesentlichen konkrete und individuelle Angelegenheiten im Gegensatz zur Gesetzgebung, die das
Recht allgemein und ohne Ansehen des besonderen Falles setzt. Die Abscheidung der Verwaltung