Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Albrecht Mendelssohn Bartholdy, Zivilrechtspflege. 341 
  
englischer Art auf Grund amerikanischer Erfahrunsen Pound, Rheinische Zeitschrift IT 518; als 
Illustration des englischen Svstems mein Enelisches Richtertum usw. 1909, S. 61 fede.). 
13. Der deutsche Zivilprozess ist nach der Prozessordnung von 1879 wesentlich mündliches 
Verfahren mit unbeschränkter Herrschaft der Parteien über den Stoff und hier und da ein- 
geschränkter Prozessführungsgewalt der Parteieri, denen der Richter als Urteiler, und nur in 
gesetzlichen Grenzen als Leiter des Verfahrens gezenübersteht. Die starke Betonung der 
„Grundsätze“ der Mündlichkeit, des Parteibetriebs, und die fast doktrinäre Durchführung 
der Dispositionsmaxime im Gesetz ist ebenso wie die Bestrebung, wenigstens den Schein einer 
Zäsur im „konzentrierten“ Verfahren zu meiden, aus Reaktionen und Reflexbewegungen gegen- 
über dem eben verlassenen oder, wie man überall meinte, überwundenen gemeinrechtlichen 
System zu erklären. In der Lebensgeschichte des Prozessgesetzes, das sich übrigens, von den 
Bestimmungen der Novelle von 1909 abgesehen, für moderne Verhältnisse sehr gut und dauerhaft 
bewiesen hat, zeigt sich denn auch eine Abspannunz: in allen jenen Punkten. Man gibt sich damit 
zufrieden, dass je nach der Landessitte hier die Schriftsätze auf ein Minimum reduziert und 
innerhalb der mündlichen Verhandlung die Plaidovers nach französischer Art zur Haupt- 
sache gemacht, dort umgekehrt eine intensive aktenmässige Vorbereitung mit dem entsprechenden 
Studium des Referenten vor der Verhandlung gefordert, in der Verhandlung selbst aber nur auf die 
Schriftsätze verwiesen und neu Vorzubrinzendes auch möglichst verlesen wird — alles nach der 
gleichen Reichsprozessordnung —; die Novelle von 1905 hat aber auch eine gesetzliche Bresche 
indie Mündlichkeit der Verhandlune selbst gelegt, indem sie schriftliche Zulässiekeits- 
prüfung bei der Revision ermöglichte; die Bedenken. die das a priori weckte, sind in Vergessenheit 
geraten. Der Parteibetrieb ist wenigstens für das amtszerichtliche Verfahren und für die 
Einlegung der Rechtsmittel seit den Novellen von 1909 und 1910 dem Amtsbetrieb gewichen, und 
man weist, mıt Recht seitdem darauf hin, dass die Bewährung dieser neuen Prozessgangart notwen- 
dig ihre Übertragung auf das Verfahren vor den höheren Gerichten zur Folxe haben muss, da nichts 
dem Geist unserer Gerichtsverfassung und unseres Prozesses ärser zuwiderliefe, als eine Diskre- 
ditierung des landgerichtlichen Verfahrens und damit ein allmähliches Absterben der Revision als 
ordentlichen Rechtsmittels an das einzige Gericht des Reichs. Der straffere Offizialbetrieb wird aber 
wiederum eine Abschwächung der Dispositionsmaxime im materiellen Prozessrecht mit sich brin- 
gen. Es ist gewiss wahr. dass Amtsbetrieb und Offizialmaxime nicht unzertrennlich sind, ja dass sie 
nicht einmal in logischem Zusammenhang stehen. Aber eine tatsächliche Wechselwirkung ist vor- 
handen. Auf dem Gebiet der Stoffsammlung für den Prozess. des richterlichen Rechts zu spontaner 
Beweiserhebung oder auch im Versäumnisverfahren gibt es so viele auf der Grenze zwischen formeller 
und materieller Prozessleitung stehende Vorschriften. dass eine Stärkung der richterlichen Gewalt 
in jener Richtung zugleich zur Reform in dieser Richtung drängt. Übrigens hängt für die Ausübung 
der materiellen Leitung schon nach dem geltenden Recht sehr viel von der Artab, in der die Praxis 
vom Fragerecht des Richters nach den $$ 138 Abs. 2 u. 3, 139, 286, 288, 289 Abs. 2 und vor allem von 
der Befugnis zur Auflegung des richterlichen Eides nach $ 475 Z.P.O. Gebrauch macht. Schliesslich 
denkt man auch über die Frage der Kuonzentrationder Verhandlung heute wesent- 
lich anders als vor dreissig Jahren. Auf der einen Seite haben die Versuche des Gesetzgebers von 
damals, alle Trennungen des Verfahrens weniystens zu verschleiern, wo sie nicht ganz zu vernichten 
wären, vor der wissenschaftlichen Kritik so wenig wie vor dem Bedürfnis der Praxis bestehen können: 
man hat gefunden, dass auch heute noch die Einl © klagtenihre gewichtige nnere Bedeutung 
nebender Klagerhebung hat und selbständige Wirkungen durch sie ausgelöst werden ; man hat den vom 
Gesetz wie eine Ausnahmeerscheinung nebenher geregelten Beweisbeschluss in täglichen Gebrauch 
genommen, und, soviel man bisher sieht, lässt sich von diesem Herkommen die Praxis auch durch 
die sehr gut gemeinten Neuerungen des $ 501 Z.P.O. nicht abbringen. Vor allem aber wird immer 
dringender das Verlansen danach laut, dass der mündlichen Verhandlung, wenn sie wirklich den 
Prozessstofl konzentriert in sich fassen und als Ganzes dem Richter unmittelbar darstellen soll, ein 
Vorbereitungsstadium vorangegangen sein muss, das, abgesehen von den Fällen, die sich in ihm selbst 
als streitlos und liquid erledigen, auch im Zivilprozess nicht wesentlich kürzer oder oberflächlicher 
sein dürfte,alsesdieV gimSt Schonehedieöst ische Prozessordnung 
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