PP Karl Lamprecht, Staatsform und Politik im Lichte der Geschichte.
Gehorchen und dementsprechend eine vorwärtsschreitende Willensdisziplin; es gab weiterhin eine
differenzierte Tätigkeit der Männer auf den höchsten Lebensgebieten und damit eine Schärfung des
Intellektes für besondere Fälle. Dies alles lässt in den eben geschilderten Vorgängen die Anfänge
eines neuen psychologischen Zeitalters erblicken, das dann in seiner Fortbildung etwa während des
ersten Jahrtausends unserer Geschichte auch eine ganz neue Staatsform, die Form, die ich als ur-
zeitlichen Absolutismus bezeichnen möchte, gezeitigt hat.
In seinen ersten wenig entwickelten Arten kommt dieser Absolutismus in der Form des
Heereskönigtums und der daraus hervorgehenden Bildungen schon in den nächsten Jahrhunderten
vor und nach Christus vor. Wir schen, wie bald hier, bald dort sich ein hervorragender Held er-
hebt, in irgend einer Weise Führer seiner Völkerschaft und das heisst also einer urzeitlichen Demo-
kratie wird, wie er dann diese Führung zu Eroberungen ausnutzt und, sei es daheim oder in der
Fremde, ein Reich gründet. Dieses Reich entbehrt freilich noch jeder inneren organischen Durch-
bildung, — man denke z. B. an das Reich Marobods — es besteht vielmehr regelmässig nur in der
Agglomeration einer Anzahl völkerschaftlicher Staaten, die dem Gesamtherrscher für Tribute an
Gut, gelegentlich auch zur Erhaltung einer grösseren Heeresmasse an Blut verantwortlich gemacht
werden. In dieser rein mechanischen Komplikation dieser Reiche liegt es begründet, dass sie eigent-
lich niemals einen längeren Bestand gehabt haben. Der Regel nach nur von der Person des Herr-
schers, manchmal sogar noch von viel äusserlicheren vorübergehenden Zuständen abhängig treten
sie auf, nehmen gelegentlich binnen kurzem einen ungeheuren Umfang an, wie z.B. eben das Reich
Marobods, und verschwinden dann ebenso rasch wieder mit der Person ihres Herrschers. Es sind
dies Zustände, die wir bei den slavischen Völkerschaften noch im 10.—11. Jahrhundert vorfinden
und die in dieser Zeit namentlich von polnischer Seite her in die Entwicklung der deutschen Ge-
schichte gelegentlich beunruhigend eingegriffen haben.
anz anders verlaufen derartige Bildungen bei den Germanen, wie sie denn die Erschei-
nungen schon einer stärkeren psychologischen Differenzierung und damit die Möglichkeit einer
Unterordnung der führenden Männer unter einen obersten Herrscher voraussetzen, seit der Zeit,
wo sich mit ihnen namentlich auch durch ihr Übergreifen auf die Provinzen des römischen Kaiser-
reiches eine starke Sesshaftigkeit der Bevölkerung und der Versuch einer freilich noch sehr ur-
sprünglichen gemeinsamen Verwaltung verbindet. Dies ist das Neue an dem urzeitlichen Absolu-
tismus der Staaten der Völkerwanderung, vornehmlich der Monarchie der Merovinger.
Das Moment, welches in der Monarchie der Merovinger hinzukommt, ist an erster Stelle
das der vollendeten Sesshaftigkeit. Indem die in der merovingischen Monarchie vereinigten Völker-
schaften und Stämme sich verheimatlichen, werden bei ihnen eine ganze Reihe neuer sittlicher
und wirtschaftlicher Zusammenhänge wach. Die definitive Niederlassung in Dörfern ergibt all-
mählich, mögen die ursprünglichen Wirtschaftsformen noch so kommunistisch und sozialistisch
gewesen sein, dennoch den Anfang einer Individualisierung im Wirtschaftsleben, welche den Ein-
zelnen in Lebensfürsorge und Genuss freier hinstellt als bisher; welche ermöglicht, dass die Gegen-
sätze von arm und reich in einer bis dahin schwerlich vorhandenen Grösse und Konsistenz durch
die Abfolge der Generationen hin hervortreten; und welche dadurch soziale Motive von äusserster
Wichtigkeit in die Fortbildung der Bevölkerung hineinwirft. Gleichzeitig mit diesen wirtschaft-
lichen Folgen tritt hier schon seit früher Zeit, z. B. schon in den Vieini des Salischen Rechts stark
betont, der Begriff der Nachbarschaft auf, des lokalen, zunächst durch die Wirtschaftsverfassung
in weiterem Sinne, aber bald auch durch eine Gemeinbürgschaft gegebenen Zusammenhangs. Das
Ergebnis der Wirkung dieser neuen Kräfte war natürlich zunächst die Zerstörung der älteren Or-
ganisationsform. Die Geschlechtsverfassung, ursprünglich nur rein personal konstruiert und damit
die Persönlichkeiten absolut gleichmässig bindend, weicht der Markgenossenschaft, die ihr gegen-
über selbst in ihren rohesten Verfassungsformen ein grösseres Mass von Verfassungsfreiheit bedeutet.
Mit dem Ruin der alten Geschlechtsverfassung schwindet dann auch der komposite Staat, der
Völkerschaftsstaat der Urzeit dahin; wirschen, wie seine Beamten schon in den ältesten Bestim-
mungen der Lex Salica kaum noch vorkommen. Aber andererseits wachsen aus dieser sich wandeln-
den Welt die Keime neuer politischer Verhältnisse hervor. Es sind im wesentlichen zwei: aus dem
röumlichen Motiv ergibt sich der Lokalverband und damit die Möglichkeit einer Auswirkung der