Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

370 Friedrich Oetker, Schwurgericht und Schöffengericht. 
  
Mit dem alten deutschen Schöffengericht, das auf der Scheidung zwischen dem Hegen des 
Gerichts durch den Richter und dem Urteilen durch die Schöffen auf Urteilsfrage des Richters hin 
beruhte, teilt das moderne Schöffengericht als einheitliches Spruchkollegium nur den Namen.!2) 
Diese Gerichtsform ist zuerst in der hannoverschen Gesetzgebung 8. 11. 1850 eingeführt 
worden: ein Berufsrichter und zwei Schöffen urteilen über Polizeistrafsachen (Zweck: Populari- 
sierung dieses Zweiges der Rechtspflege, Ermöglichung kollegialen Entscheids). 
Es folgten: Oldenburg, Bremen, Kurbessen, Baden, Preussen (25. 6. 1867 £. d. neuen Landesteile), Württem- 
berg, Sachsen (1. 10. 1868). \Württemberg hatte Schöffengerichte auch in der Mittelstufe, Sachsen überwies ihnen 
nur die mittleren Straffälle. Das sächs. Schöffengericht war jedoch im Grunde modifiziertes Schwurgericht, indem 
den Schöffen die Straffrage entzogen war und sie auch am Schuldentscheid nur in dem gleichen Umfang wie Ge- 
schworene ($ 66 des sächs. Schwurgerichtsges. v. 1. Okt. 1868: Anwendung der Rechtsbegriffe vielfach den 
Richtern vorbehalten) teilnahmen; noch weitergehende Beschränkung der Schöffen in Kurhessen. 
Ständige, nicht im Reihedienst amtierende Schöffen kannte Hamburg (Verfassung 28. 9. 1860, Ges. 
30, 4. 1869). Diese Einrichtung entspricht nicht, wie immer die ständigen Schöffen bestimmt werden möchten, 
der reohtspolitischen Forderung einer Beteiligung des Volksganzen an der Strafrechtspflege. 
An die so geschaffenen Schöffengerichte hat sich eine lebhafte Agitation zur Ersetzung der 
Geschworenen durch Schöffen angeschlossen. Seit 1865 war Schwarze (das deutsche Schwurgericht 
und dessen Reform usw.) dafür eingetreten; in neuerer Zeit fand das Schöffenprinzip zahlreiche 
Anhänger, unter denen Wach, Jurist. Zeitung Bd. 10 S. 81 fg., 321 fg., Bd. 14 S. 11, Recht, Bd. 15, 
S. 114 fg. hervorragt. Doch auch der Jury fehlt es nicht an Verteidigern (Ullmann, Birkmeyer, 
W. Mittermaier, v. Bar, Kahl, Liepmann usw). Für wesentlich reformiertes Schwurgericht (s. oben 
unter I u. IIla. E.) und Umbildung des Schöffengerichts (Ausschluss des Vorsitzenden vom Schuld- 
entscheid bei mittleren Straffällen, getrennte Erledigung von Schuld- u. Straffrage nach Ermessen 
des Gerichts, Aufstellung von Schuldfragen unter Mitwirkung der Parteien, entsprechend dem 
akkusatorischen Typus) mit dem Ziel der Verschmelzung beider Gerichtsformen: Oetker (insbes. 
Arch. f. Rechts- pp. Philosophie Bd. 2 Heft 2). Die Rückkehr zum rechtsgelehrten Beamtengericht 
empfehlen Binding, Beling pp. (meist unter Anerkennung relativen Vorzugs des Schöffengerichts 
vor der Jury). 
Die ersten Entwürfe zu der geltenden Reichsgesetzgebung hatten für die erste Instanz die 
Alleinherrschaft des Schöffengerichts angestrebt. Die Volkstümlichkeit der Jury aber nötigte zu 
deren Beibehaltung unter Beschränkung des Schöffengerichts auf die unterste Stufe. 
Ebenso blieb die Befürwortung des Schöffensystems durch die Kommission zur Vorbereitung 
einer neuen deutschen Strafprozessordnung insofern ohne Erfolg, als die Entwürfe 1908, 1909 — 
dem Drucke der Volksstimme nachgebend — die Jury für schwerere Verbrechen beibehielten. 
Dagegen siegte das Schöffengericht in der Mittelstufe — unter Beseitigung der nur mit Berufs- 
richtern besetzten Strafkammern —, während die Zuständigkeit der untern Schöffengerichte in 
den Entwürfen nach oben hin erheblich und bedenklich erweitert wird, zugleich aber die kleine 
Kriminalität und die summarischen Sachen den Amtsrichtern als Einzelrichtern zufallen. 
Die Vorkommission wollte Schöffengerichte auch für die Berufungsinstanz.13) Die Entwürfe 
hingegen überweisen diese Gerichtsbarkeit reinen Beamtengerichten. Wird indes in der Zuziehung 
von Schöffen eine Garantie des voll gerechten Urteils und volkstümlicher Strafjustiz erblickt und 
gegen Strafurteile die Berufung, eine Nachprüfung nicht nur im Rechtspunkte, sondern auch in 
der Beweisfrage gewährt — wofür starke Gründe sprechen —, die Berufungs-Verhandlung auch, 
wie nicht anders möglich, als neue Hauptverhandlung mit ausgiebiger Beweiserhebung in den 
Grenzen der Berufungsanträge gestaltet, so ergübe die Fernhaltung der Schöffen vom Standpunkte 
der das Institut stützenden Erwägungen ein weniger gut besetztes Gericht und einen vollen 
inneren Widerspruch. 
Die österr. Vorentwürfe von 1909 haben das Schöffeninstitut aufgenommen in Gestalt kleiner 
Schöffengerichte in der Mittelstufe und grosser Schöffengerichte, denen ein Teil der bisherigen Ge- 
schworenen-Kompetenz zugewiesen ist; die Übertretungen (für die einst der Prozess-E. 1867 $ 476 
22) Vgl. auch Birkmeyer, Strafprozessrecht S, 222 zu K B. 
%) Mitwirkung von (ständigen) Sohöffen in höherer Instanz bestand in Hamburg.
	        
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