Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

382 W. von Blume, Bedentung und Aufgaben der Parlamente. Parteibildung. 
Organisation unserer Kommunalverbände, zumal unserer Gemeinden, und ihre Leistungen 
Es war unter den vielen glücklichen Gedanken des Freiherrn vom Stein einer der glück- 
lichsten, dass er das Laien-Element nicht nur in der Stadtverordnet lung, sondern 
auch im Magistrat zur Geltung kommen liess, der Stadtv Inet lung dazu der 
Kontrolle der gesamten Verwaltung übergab und schliesslich für besondere Verwaltungs- 
zwecke besondere Verwaltungsdeputationen vorsah, in denen Magistrat, Stadtverordnete und 
Bürger zusammenwirken sollen. Möglich, dass der parlamentarische Gedanke diese Richtung 
einschlägt, wenn erst die Vorurteile, die hüben und drüben von der Entstehungszeit des 
Parlamentarismus her bestehen, im Laufe der weiteren Entwicklung ausgeschaltet sein werden. 
Von entscheidender Bedeutung für die Zukunft des Parlaments ist die Entwicklung 
der Parteibildung. 
Es wäre das Ideal eines Parlaments, das keine Parteien enthielte, in dem sich viel- 
mehr die Gruppen für und gegen eine Meinung nur nach freier, wohlgegründeter Ueber- 
zeugung von Fall zu Fall bildeten. Es ist das Schicksal der Parlamente, dass sie ohne 
Parteien nicht sein können, ja, dass eine erfolgreiche Parlamentstätigkeit überhaupt erst 
möglich ist, wenn das Parteileben eine gewisse Stufe der Entwicklung erreicht hat. 
Jede Vereinigung, in der Interessen und Meinungen durch Mehrheitsbeschlüsse zur 
Geltung gebracht oder zum Schweigen verurteilt werden, wird nach kurzer Zeit des Bestehens 
sich in ständige Gruppen ordnen, die einander gegenübertretenden Parteien. Sie können 
lose oder festgefügt sein — immer bilden sie Sonderbünde mit Eigenleben, Körper im Körper 
des Staates, Kommunalverbandes, Parlamentes oder wo immer sie leben mögen. Was sie 
unentbehrlich macht für das öffentliche Leben, ist, dass in ihnen die Meinungen geklärt, 
die Interessen ausgeglichen werden, ehe diese in dem grösseren Verbande aufeinanderstossen, 
dass sie die Streiterscharen ordnen zu einem Kampfe um die Hauptfragen unter Beiseite- 
stellung der trennenden Nebenpunkte. So machen sie aus einem Getümmel ein Gefecht und 
ermöglichen, dass ein ehrenhafter Kampf zu einem ehrenvollen Frieden führe. Aber gross 
ist auch die Gefahr der Parteiung. Denn nur zu leicht beginnen Parteien sich als Selbst- 
zweck zu betrachten, während sie doch nur Mittel zum Zweck des Ausgleiches der Meinungen 
und Interessen in dem Verbande sind, der sie umschliesst. Solche Parteien kämpfen nicht 
mehr um des Friedens, sondern um des Kampfes willen, sie suchen nicht mehr den Vorteil 
des Gemeinwesens, sondern nur den ihrer Mitglieder, sei es auch auf Kosten des Gemein- 
wesens. Und so zerstören sie den Körper, in dem sie wohnten, und damit sich selbst. 
Alles Parteiwesen ist auf Kampf abgestellt. Aber falsch wäre es, darin seinen Febler 
zu sehen. Solange nicht die Vernunft die Menschen und Völker zum Richtigen leitet, wird 
der Kampf nicht entbehrt werden können als Mittel zur Selbstbehauptung. Und in jedem 
Falle ist der öffentliche Parteikampf — mögen dabei auch Hiebe fallen und Güter zerstört 
werden — dem „versteckten Rünkespiel vorzuziehen, das die Machthaber unfreier Staaten 
umschlingt“ (Treitschke), Nur muss von ihm verlangt werden, dass er „fair“ sei, dass er 
sich in den Formen des Anstandes und der Achtung vor dem Gegner vollzieht und, dass 
er nicht ein Beutezug sei, sondern ein Kampf um die Durchsetzung des eigenen Willens. 
Die einfachste Art der Parteibildung ist der Anschluss an führende Persönlichkeiten 
ohne Rücksicht auf bestimmte Ziele. Solche Gefolgschaften werden häufig der Anfang der 
Parteibildung sein in Staaten und Parlamenten, denen noch die leitenden Gedanken und 
ausgeprägten Gruppeninteressen fehlen — die Namen der Parteien im Parlament der Pauls- 
kirche legen dafür Zeugnis ab. Aber auch ein entwickeltes Staats- und Parlamentsleben 
wird nicht selten Parteien zeigen, deren Programm einfach ein Name ist, oder die, trotz 
eines sachlichen Programms, im Grunde genommen reine Führer-Parteien sind. Dass 
sie es sind, enthüllt sich allerdings nicht selten erst dann, wenn sie den Führer verlieren 
und alsobald zusammenbrechen. 
Auch andere Parteien können selbstverständlich der Führung nicht entbehren; aber, 
was ihnen den Halt gibt, ist entweder die Gemeinschaft der Interessen oder die Gemein- 
schaft der Ueberzeugungen oder beides. Nur wäre es unrichtig zu meinen, dass, was die
	        
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