394 Adalbert Wahl, Geschichte des Parlamentarismus in Frankreich.
da sie nicht genügte, der Politik der Legislative eine gemässiete Richtung zu geben. In der Legislative
findet sich der Beginn einer Parteibildung. Die Anhänger der Verfassung, die sogenannten Feuillants
standen den Jakobinern gegenüber, welche eine weitere Radikalisierung der Verfassung, „die Voll-
endung der Revolution“ erstrebten. Sie zerfielen wieder in zwei Gruppen, einen rechten Flüg.l, die
Girondisten unter Brissot („Jacobins Brissotins‘) und einen linken Flügel, die Bergpartei. Die
Jakobiner waren in der Legislative durchaus siegreich. Am 20. September 1792 trat auf Beschluss
der Legislative ein Nationalkonvent zusammen (bis 25. Oktober 1795), der seine Aufgabe,
die Revision der Verfassung, damit begann, dass er am 21. September das Königtum abschaffte und
am 22. die Republik proklamierte. Die 745, später 782 Abgeordneten des Konvents waren nach all-
gemeinstem gleichem Wahlrecht gewählt. Die ultrademokratische Verfassung vom 24. Juni 1793,
die der Konvent verfertigte — sie enthielt z. B. u. a. die Bestimmung, dass jeder neue Gesetzent-
wurf an alle Gemeinden Frankreichs gehen müsse — konnte niemals ins Leben treten. Der Konvent
stellt die denkbar grösste Konzentration der Gewalt in der Hand des Parlaments dar. Dass die
Ministerien zur Ohnmacht verdammt waren, ist schon gesagt worden. Die eigentlich regierenden In-
stanzen waren zwei Ausschüsse desKonvents (Comite de salut publicund de sürete generale); im Lande
beruhte alle Regierung auf der Tätigkeit der Kommissäre des Konvents. Jedoch ist zu bemerken,
dass tatsächlich die Stadtverwaltung von Paris und der Jakobinerklub dem Konvent vielfach
Konkurrenz machten und dass die beiden Ausschüsse lange Zeit als die Herren ihres Auftraggebers
auftraten. Im Konvent warf bald die Bergpartei die Girondisten nieder (Juni 1793), um dann selbst
in eine Reihe sich zerfleischender Parteigruppen (Robespierre und die Seinen, Hebertisten, Dan-
tonisten) zu zerfallen, die sich unter z. T. sachlichen, z. T. persönlichen Gesichtspunkten zusammen-
fanden. Nach dem Sturz der Schreckensherrschaft (9. Thermidor II, 27. Juli 1794) ging der Konvent
an die Ausarbeitung einer neuen Verfassung, der Direktorialverfassung, die am
22. August 1795 vollendet wurde. Sie war vom 26. Oktober 1795 — 10. November 1799 in Geltung.
In ihr war der Versuch gemacht, die Gewaltenteilung streng durchzuführen: die Exckutive war
einem 5köpfigen gewählten Direktorium, die Legislative nunmehr zwei Kammern anver-
traut: einem Rat der 500 (2. Kammer) und einem Rat der Alten (250 Mitglieder, über 40 Jahre alt).
Zu beiden Kammern wurde indirekt gewählt, ein sehr niedriger Zensus war für das aktive Wahlrecht
eingeführt worden. Die Verfassung funktionierte ganz schlecht. Eine gewisse Stabilität der Re-
gierung wurde nur dadurch hergestellt, dass eine sachlich relativ gemässigte Clique, die sowohl
Direktoren wie Mitglieder der beiden Kammern umfasste, mit allen Mitteln des Rechtsbruchs und
Staatsstreichs (z. B. Annullierung von Wahlen, Deportation anders gesinnter Abgeordneter und
Direktoren) die Macht in Händen behielt und gegen den Ansturm von rechts (Royalisten) und links
(die rote Revolution) verteidigte. Die Verfassung war überreif zum Untergang, als der General
Bonaparte sie durch den Staatsstreich des 18./9. Brumaire VIII. (9./10. Nov. 1799) beseitigte.
ber den Scheinkonstitutionalismus Napoleons können wenige Worte
genügen. Sowohl in der Konsularverfassung vom 13. Dezember 1799, wie in dem Senatusconsulte
Organique vom 4. August 1802, das den Konsulat auf Lebenszeit einführte, wie in dem sogenannten
Senatusconsulte Organique vom 18. Mai 1804, in Wirklichkeit einer neuen Verfassung, welche das
Kaisertum gründete, war es eine Hauptsorge Napoleons, eine wirkliche Mitregierung der Kammern
zu verhindern. Es gelang das einerseits durch eine enge Bemessung der Befugnisse des Parlaments,
anderseits durch eine geschickte Verteilung der Geschäfte auf die 3Kammern, den Senat (ur-
sprünglich 60 Mitglieder), den Tribunat (100 Mitglieder) und die gesetzgebende Körperschaft (300
Mitglieder), schliesslich durch die Art und Weise, wie diese Kammern zusammengesetzt waren. Der
Senat, ursprünglich von Vertrauensmännern des ersten Konsuls ernannt, und auch später aus ihm
ganz ergebenen Elementen zusammengesetzt, ernannte die Mitglieder der beiden gesetzgebenden
Körperschaften, auf Grund von Listen, welche durch mehrfach indirekte Wahlen zustande kamen.
Wie zum Hohne hatte man dabei den Urwählern das allgemeine Wahlrecht verliehen. Im übrigen
machte Napoleon in der kaiserlichen Verfassung vom 18. Mai 1804 den konstitutionellen Ideen einige
Zugeständnisse, So wurde z. B. ein Verfassungseid des Kaisers und die Ministerverantwortlichkeit
eingeführt; dem gesetzgebenden Körper, dem bisher nur die Befugnis zustand, schweigend abzu-
stimmen, wurde der Mund entsiegelt. Aber in der Praxis bedeuteten diese Zugeständnisse so gut