Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

59 Hansv. Frisch, Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung. 
tische Durchführung eines derartigen Staates haben. Die katholische Forderung an den Staat, die 
Sittlichkeit in ihrem Sinne zu verwirklichen, wird aber von der Kurie heute noch festgehalten, 
weil dies eben im System des Katholizismus begründet ist. 
3. Das Naturrecht. 
Eine grosse Rolle spielt der Staatszweck im Naturrecht gemäss seiner ganzen Kon- 
struktion des Staates als Resultat eines Vertrages, denn Verträge schliesst der Mensch nicht zweck- 
los. Der Zweck, aus dem Naturzustand herauszukommen, genügt aber für sich allein nicht, man 
verfolgt vielmehr mit der Vertragsabschliessung das Ziel, gewisse von vornherein bekannte und 
berechnete Zustände herbeizuführen. So sind mit der Gründung des Staates für die Naturrechtler 
auch schon die Zwecke desselben gegeben. Aber nur in der Beseitigung des status naturalis oder 
des bellum omnium contra omnes stimmen die Vertreter der naturrechtlichen Theorien überein, 
in ihrer Konstruktion der Staaten und den diesen gestellten Aufgaben weichen sie bedeutend von 
einander ab, oft auf Grund ihrer politischen Anschauungen. 
Anknüpfend an die Beseitigung des Naturzustandes, wie immer dieser beschaffen sei, stellen 
sie vonHugo Grotius an in der Regel den Frieden und die Sicherheit des Einzelnen als 
ersten Zweck des Staates hin. Pacem et securitam communem habe der Staat zum Zweck, sagt 
Pufendorff und seine Schule. An diese Theorie vom Sicherheitszweck, die übrigens nicht 
von den Naturrechtlern entdeckt wurde, sondern wie das Naturrecht überhaupt, schon im 
Altertum zu finden ist,2“) knüpft später die Lehre vom Rechtszweck an. Mit dem dürftigen 
Sicherheitszweck allein begnügen sich die Naturrechtler allerdings in der Regel nicht, die meisten 
fügen noch weitere Zwecke hinzu, wobei ihre politischen Anschauungen oder die sozialen Ver- 
hältnisse, unter denen sie lebten, bisweilen von ausschlaggebender Bedeutung waren. 
So ist bei Spinoza neben Frieden und Sicherheit des Lebens die Verwirklichung der 
geistigen Freiheit durch die Gesellschaft Zweck des Staates.*) Für Locke ist die Bewahrung 
der angeborenen Freiheit und die Erhaltung des Privateigentums Staatszweck. Seit Locke ist 
der Staat wiederholt als eine Schutzanstalt der menschlichen Rechte aufgefasst worden, mit der 
Garantierung von Sicherheit, Freiheit und Eigentum seien seine Aufgaben erschöpft. In derselben 
Richtung bewegen sich mit verschiedenen Modifikationen die Theorien der Physiokraten, mit 
Quesnay an der Spitze, unzweifelhaft von Locke beeinflusst. Dass auch hier Spuren einer 
eudaimonistischen Theorie wiederholt zu finden sind, liegt im \Vesen dieser populären und auf den 
ersten Blick einleuchtenden Lehre. Um die Menschen zum Wohle und zur Glückseligkeit zu führen, 
muss der Staat vor allem für Sicherheit sorgen, andernfalls bestünde ein fortwährender Krieg 
zwischen den Menschen und somit ein unerträglicher Zustand; liberte, propriete, süret& ist die 
Formel, in die die Physiokraten den Staatszweck zusammenfassen.?) 
Die Theorie vom Sicherheitszweck hat lange Zeit die Geister der verschiedenen Richtungen 
aller Nationen beherrscht und bis zu einem gewissen Grade geeinigt. Im einzelnen weist aber die 
Lehre zahlreiche Abarten auf. Nennt David Hume®‘), ähnlich wie Pufendorff nur 
Frieden und Ordnung als Staatszweck, so Blackston ee”) neben Leben, Freiheit und Eigentum 
noch ein ganzes System von Neben- und Hilfsrechten, die der Staat zu schützen habe. Am krasse- 
sten aber kommt diese Schutzidee wohl bei Schlözer zum Ausdruck, der sagt: „Der Staat ist 
eine Erfindung: Menschen machten sie zu ihrem Wohle, wie sie Brandkassen erfanden.“*) 
Der naturrechtliche Staat, der aus den einzelnen Menschen, den sozialen Atomen, mechanisch 
zusammengesetzt ist, steht in schroffem Gegensatz zum antiken Staat; er war nur des Menschen 
wegen vorhanden und hatte keine andere Aufgabe als seinen Gliedern ein sicheres und behagliches 
Privatleben zu gewähren. Mit Recht hat ihn Lassalle einem Nachtwächter verglichen, der 
nichts zu tun hat, als aufzupassen, ob nirgends eingebrochen wird. 
212) So z. B. sohr klar bei Epikur. Vergl. Zeller,a. ». 0. II. 185.456 £ 
#4) Abhondlung vom Staate V. Kap. $ 2. 
-) Vergl. Güntzberg, D.e Gesellschafts- und Staatslehre der Physiokraten, 9. 76f. 
#4) Original Contraot. Esays and treatisce II, No. 12, 
%) Commentaries. I. I. Buch 1 Kap. 
%) Allgemeines Stastsrecht und Staateverfassungslehre (Göttingen 1793) 8, 3.
	        
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