Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Hansv. Frisch, Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung. 55 
  
Neben W ol ff findet sich noch eine grosse Zahl Vertreter dieser Lehre in der zweiten Hälfte 
des 18. und auch noch in den ersten Dezennien des 19. Jahrhunderts; einer der hervorragendsten 
ist Justi?s), der in mancher Beziehung weniger doktrinär ist als Wolff und die Grenzen staat- 
licher Macht richtiger beurteilt. Achenwall,®) A. L. Schlözer,") Sonnenfels,%) 
u. a. sind in verschiedenem Masse Anhänger der Wohlfahrtstheorie.*) 
In dieser Theorie fand der Polizeistast des 18. Jahrhunderts eine mächtige Stütze. Wolff 
war der „offizielle Staatsphilosoph“ Friedrichs d. Gr., unter dessen Regierung die unum- 
schränkte Macht des Staates in voller Blüte stand. Dem Untertanen kommen keine Rechte zu 
gegenüber dem Monarchen, infolgedessen gibt es auch keinen Missbrauch fürstlicher Gewalt; 
was der Fürst befiehlt, ist Gesetz. Aus physischen Gründen, weil er nicht alles selbst besorgen kann, 
bedient er sich der Beamten als Gehilfen, die, innerhalb ihrer Kompetenz, Fürsten im kleinen sind.) 
Im einzelnen finden die eudaimonistischen Lehren in zahlreichen Polizeistrafgesetzbüchern der 
damaligen Zeit ihre praktische Anwendung. 
Aber nicht nur für die Monarchie, auch für die absolute Demokratie ist die eudaimo- 
nistische Lehre die gegebene Zwecktheorie. Die französischen Kommunisten, Baboeuf und 
seine Schule beriefen sich auf das allgemeine Wohl als Staatsaufgabe nicht minder als die modernen 
Utopisten es mit ihrer staatslosen Gesellschaft tun. In der Demokratie tritt an die Stelle des un- 
beschränkten Fürsten die Majorität, die unter Berufung auf den Staatszweck in genau der gleichen 
Weise wie ein absoluter Monarch alle individuelle Freiheit vernichten kann. Man denke an die 
Schreckensherrschaft des Comit& du salut public unter Robespierre und die wahnsinnigen 
Polizeigesetze des Konvents. Alles geschah unter Berufung auf das allgemeine Wohl, das als 
Prinzip auch in die vom Konvent beschlossene zweite französische Verfassung aufgenommen 
wurde: „Le but de la societ& est le bonheur commun.‘“# 
Die Überspannung der Wohlfahrtstheorie hat auch auf wirtschaftliche Lehren ihren Ein- 
fluss geübt. Die Vertreter des sogenannten Manchestertums verlangten, der Staat solle 
sich sämtlicher Eingriffe in die wirtschaftliche Tätigkeit des Individuums enthalten und sich ledig- 
lich auf die Gesetzgebungstätigkeit beschränken. Von dieser Lehre wird als erste Aufgabe des Staates 
die Durchführung vollständiger wirtschaftlicher Freiheit der Bürger verlangt. Unter der Führung 
von A. Smith, der zweifellos, ebenso wie die französischen Vertreter dieser Lehre von Locke 
stark beeinflusst ist,“) überschritt jedoch diese Bewegung in England alle Grenzen. Der Staat 
sollte nicht nur keine sozialpolitischen Gesetze wie die über Kinderarbeit in den Fabriken u. dergl. 
mehr erlassen, sondern selbst die Errichtung staatlicher Schulen und der Schulzwang werden als 
unberechtigter Eingriff in die Privatrechtssphäre des Individuums angesehen. Ein Beweis dafür, 
welch grossen Einfluss diese Theorie erlangte, ist, dass die Engländer noch 1847 die Deutschen 
höhnten, weil sie sich die allgemeine Schulpflicht gefallen lassen.“) 
2. Die ethische Theorie. 
Sittliche Eudaimonie ist der Staatszweck bei den alten Hellenen. Da Staats- und 
Kultverband bei ihnen zusammenfielen, lässt sich die Entstehung dieser Lehre in der griechischen 
Polis nicht schwer erklären. Sie ist aber im 19. Jahrhundert in einer merkwürdigen Art erneuert 
worden und zwar zweimal in verschiedener Form, einmal von Hegel, dann von Stahl. 
Für Hegel ist der Staat die höchste Form der objektiven Sittlichkeit, „Der Staat ist die 
Wirklichkeit der sittlichen Idee.‘‘“) ‚Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens 
8) Grundsätze der Policeywissenschaft. (3. Aufl. 1782). 
3%) Die Staatsklugheit nach ihren ersten Grundsätzen entworfen. (1761). 
“) Allgemeines Stasterecht und Stanteverfassungslehre. (1793). 
«) Handbuch der inneren Staatsverwaltung. (1798). 
«@) Weitere Vertreter der Wohlfahıtstheorie bei Murbard, m a. 0. S, 168 £f, 
@) Vergl. O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht. L S. 388 
«) Verfassung vom 24. Juni 1793, Art. 1 
@) Vergl. Jellinek, Allgemeine Staatsiehre, 5._240 Anm. 1. 
“) Treitschke, Politik, I. S. 80 
@) Grundlinien der "Philosophie den 5 Rechts, $ 267. 
 
	        
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