Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

56 Hansv. Frisch, Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung. 
....dasan und für sich Vernünftige. Diese substantielle Einheit ist absoluter, unbewegter Selbst- 
zweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt, so wie dieser Endzweck das höchste 
Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglieder des Staates zu sein.‘““) Die 
Staaten sind nach Hegel nur Werkzeuge des Weltgeistes, die unbewusst ihre Aufgabe, den Welt- 
geist auf eine höhere Stufe der Entwicklung zu heben, erfüllen. Die höchste Entwicklungsstufe 
wird zu Zeiten von einzelnen Völkern erreicht, die aber, wenn ihre Zeit vorüber ist, ihre Rolle in 
der Weltgeschichte ausgespielt haben. Diese Theorie von der Sittlichkeit und zwar von der aus der 
Vernunft abgeleiteten Sittlichkeit ist nichts anderes als der in modernes, philosophisches Gewand 
gekleidete Aristotelische Gedanke, dass der Mensch nur im Staate möglich sei. 
Gibt beiH egel die Vernunft den Masstab dafür, was als sittlich anzusehen sei, so nimmt 
eine andere Richtung derselben Zwecktheorie die Religion als Basis für die Beurteilung des Sitt- 
lichen. Der Begriff des Sittlichen muss dann natürlich jeder beliebigen Religion entlehnt werden 
können. Dass die katholische Kirche im Mittelalter die Staaten dazu zwang, ihre religiösen For- 
derungen in die Tat umzusetzen, liegt im System des Katholizismus, wie er von Augustinus 
an ausgebildet wurde, begründet. Aber auch der Protestantismus hat vereinzelt Versuche in dieser 
Richtung unternommen. Der namhafteste theoretische Vertreter des protestantischen Gedankens 
ist Julius Stahl. Er stützt sich auf die Worte der heiligen Schrift als nicht anzuzweifelnde 
Wahrheiten und versuchte von dieser Basis aus die göttliche Institution des Staates zu beweisen. 
Die ganze legitime Ordnung des Staates hat nach Stahl ihre bindende Macht daher, dass das 
Ansehen des Staates auf Verordnung Gottes beruhe. ‚‚Von sich selbst,‘ sagt er,*) „kann kein Mensch 
obrigkeitliche Gewalt über andere Menschen haben, auch nicht die Sämtlichen über den Einzelnen. 
Noch auch können die Menschen durch Vertrag obrigkeitliche Gewalt gründen, da sie über ihr Leben 
und über ihre Freiheit nicht verfügen, daher nicht jemandem Gewalt einräumen können. Das ist 
das göttliche Recht der Obrigkeit.“ Von dieser Grundanschauung aus ist auch verständlich, wie 
der Verfasser dem Staate folgende Aufgaben stellen kann:®) „Es ruht aber auch der Beruf des 
Staates aufdem Dienste Gottes. Esist Gottes Gebot, für das Gemeinleben — Gerechtig- 
keit, Zucht, Sitte — das er handhaben, es ist Gottes Herrschaft, die eraufrichten soll. Die Obrigkeit 
ist nach dem Ausspruche der h. Schrift (Röm. 13) nicht blossvon Gott verordnet, sondern 
sie ist auch Gottes Dienerin (deod dtdxovog, dei minister)..... Die Obrigkeit ist darum 
von Gott nicht bloss in dem allgemeinen Sinne, wie alle Rechte von Gott sind, sondern in ganz 
spezifischem Sinne, dass es das Werk Gottes ist, das sie versieht. Sie übt ihr Recht nicht bloss 
nach Gottes Ordnung, wie auch der Eigentümer, der Vater, sondern sie übt esfür Gottes Ordnung. 
Es ist nicht ein blosses eigenes Recht, ein eigener Besitz, sondern eine göttliche Mission. Die Gewalt 
über Leben und Freiheit der Menschen und zu dem Zwecke, eine höhere sittliche Ordnung herzu- 
stellen, kann nie das bloss eigene Recht eines Menschen über den andern sein, gleichwie das Recht 
eines Ehegatten über den andern, des Vaters über die Kinder, sondern nur ein im Amte Gottes ge- 
übtes Recht. ..... Es ist aber danach auch der Zweck des Staates nicht bloss eine Erfüllung sitt- 
licher Ordnungen, sondern auch im Dienst und Gehorsam gegen die Person Gottes und die 
Aufrichtung eines Reiches zur Ehre Gottes, und also sollen Obrigkeit und Volk ihn 
betrachten.‘“*#) 
In dieser Vermengung von Geistlichem und Weltlichem liegt dieselbe Forderung, die im 
Mittelalter von der katholischen Kirche an den Staat gestellt wurde, nämlich dass er ein christ- 
licher Staat sein solle; Verwirklichung der christlichen Lehren soll sein Zweck sein. Darin liegt 
keine wissenschaftliche Forschung, nicht einmal eine wissenschaftliche Überzeugung, sondern 
nichts weiter als ein Glaubensbekenntnis, das jeglichen Beweises unfähig ist. 
“) Ebenda $ 258, 
@) Die Philosophie des Rechts. (1856) I. 2. S. 176. 
%) Ebenda, S. 179£. 
) Vergl. ferner von Stahl: Der christliche Staat, (2. Aufl. 1868) z. B. S. 29: „Dies ist das Wesen des 
christlichen Stastes. Er ist die Ordnunz des öffentli« hen Zustandes, wie ein ohristliohes Volk sie als Anforderung 
erkennt und wie sie aus dem Geiste eines ohristlichen Volkes hervorgeht ....... Das Christentum ist ihm Norm 
und Grundlage und ist ihm Zweck.“
	        
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