Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

Hans v. Frisch, Die Aufgaben des Staates in geschichtlicher Entwickelung. 63 
  
darauf beschränken, zur Beförderung derselben, wenn er dies wünscht, günstige äussere Bedin- 
gungen zu schaffen. Die dem Staate, seinen Mitteln entsprechend, charakteristischen Tätigkeiten 
sind „die planmässigen, solidarischen menschlichen Lebensäusserungen.“ ..... „Diese Solidarität 
ist aber eine dynamische Grösse, auf allen Gebieten des menschlichen Gemeindaseins zu verschie- 
denen Zeiten und bei verschiedenen Völkern verschieden ausgeprägt. Daher empfängt diese Formel 
ebenfalls von dem jeweiligen gesamten Kulturzustande eines Volkes ihren positiven Inhalt.“ 
Die Geschichte zeigt, dass die solidaren Interessen stets zugenommen haben und wir sehen, 
dass sie noch täglich zunehmen. Immer grösser wird das Gebiet, das der Staat in seinen Tätigkeits- 
bereich zieht, immer mannigfaltiger die Tätigkeit selbst. Bei näherer Betrachtung lässt sie sich 
zunächst in zwei Gruppen scheiden: die eine Art von Tätigkeiten wird ausschliesslich vom Staate 
ausgeübt, die zweite kann sowohl vom Staate wie von den Individuen vorgenommen werden. 
Teleologisch betrachtet lassen sich drei Gruppen staatlicher Tätigkeit unterscheiden, von 
denen zwei heute exklusiv staatlich sind, die dritte, die wichtigste auch von den Individuen mit- 
besorgt wird. Die ersten Spuren dieser Unterscheidung in drei Gruppen finden sich, soviel ich sehe, 
bereits bei Murhard ‚®) deutlicher bei v. Holtzendorff #) durch Jellinek wird der 
Gedanke in klarer, systematischer Weise zum Abschluss gebracht.®) Über die beiden ersten Tätig- 
keiten als Staatszwecke ist man sich heute im Prinzip einig; es genügt daher, sie hier kurz zu er- 
wähnen; über die dritte Aufgabe aber kann man sehr verschiedener Ansicht sein. 
  
I. Zunächst hat der Staat den Zweck, sein Gebiet und seine Einwohner zu schützen, eine 
Funktion, die der Staat immer geübt hat; früher war diese Tätigkeit nicht exklusiv staatlich, das 
zeigen die Privatkriege und Fehden des Mittelalters. Heute hat nur der Staat das Recht und die 
Pflicht, sein Volk und Gebiet gegen Angriffe von aussen zu schützen und alle im Interesse der 
Landessicherheit erforderlichen Massnahmen zu treffen. 
II. Ähnlich wie mit dem Sicherheitszweck verhält es sich mit dem Rechtszweck; die bewusste 
Fortbildung des Rechts ist die zweite heute exklusiv staatliche Tätigkeit. Auch sie war in älterer Zeit 
nicht ausschliesslich staatlich, sondern auch die verschiedenen Verbände, die Sippen, Stände usw. 
gaben Gesetze und die Selbsthilfe war ein vom Staat geduldetes Rechtsinstitut. Heute kann nur 
der Staat Gesetze geben und Recht verwirklichen. Es war ein langwieriger historischer Prozess, 
in dem der Staat sich das ausschliessliche Recht zur Fortbildung und Aufrechterhaltung der Rechts- 
ordnung angeeignet hat. 
III. Zu diesen beiden, für jeden, auch den minder zivilisierten Staat erforderlichen Auf- 
gaben treten noch andere, namentlich für den modernen Staat hochwichtige Zwecke hinzu, die man 
unterder Bezeichnung Kulturförderung zusammenfassen kann. Das moderne, das Prädikat 
„Kulturstaat‘‘ in Anspruch nehmende Gemeinwesen kann sich nicht auf die beiden erstgenannten 
Aufgaben beschränken; es wäre ein trauriges Zeichen für das Menschengeschlecht, wenn es sich 
nur zum Macht- und Rechtsschutz zu der straffen Organisation im Staate zusammenschliessen 
würde; damit können die Aufgaben halb- und unzivilisierter Staaten erschöpft sein, aber der mo- 
derne Staat wäre damit nicht gerechtfertigt. Es fragt sich nun, worin diese staatliche Aufgabe 
besteht und wie weit der Staat in dieser Tätigkeit gehen darf, ohne sich dem Vorwurf auszusetzen, 
die Freiheitssphäre des Individuums zu weit einzuschränken.?!) 
®) A. 0. O. S. 367 ff. 
®) A. a. 0. S. 232f. 
%) A. a. 0. S. 248 ff. 
9) Der dreifache Staatszweck findet sich auch in verschiedenen Verfassungstexten, namentlich motivieren 
Staaten, wenn sie sich zu einem Bundesstaat zusammenschliessen, diesen Akt durch Angabe eines bestimmten 
Zweckes. So sagt die Verfassung der nordamerikanischen Union inder Einleitung: „Wir, das Volk der Verei- 
nigten Staaten, in der Absicht, eine vollkommene Union zu bilden, Recht und Gerechtigkeit einzusetzen, Ruhe im 
Innern zu befestigen, für gemeinsame Verteidigung Fürsorge zu treffen, allgemeine Wohlfahrt zu fördern und den 
Segen der Freiheit uns und unseren Nachkommen zu sichern, verordnen und erriohten hie: mit diese Konstitution 
für die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Die deutsoheReiohsveorfassung beginnt: „Seine Majestät
	        
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