Eduard Hubrich, Die Staatsformen. 77
Eine Teilung der Trägerschaft der Staatsgewalt zwischen Monarch und Volksvertretung ist durch
das Wesen der konstitutionellen Monarchie jedenfalls ausgeschlossen; auch der konstitutionelle
Monarch ist — quoad ius, der Substanz nach — Alleinträger der Staatsgewalt, da die Befugnisse
der Volksvertretung nur die Sphäre der Ausübung (exereitium) der Staatsgewalt von seiten des
Monarchen und seiner Hilfsorgane berühren. Die Volksvertretung ist niemals Körperschaft (juri-
stische Person), sondern lediglich Kolleg, das bald nach dem Einkammer- bald nach dem Zwei-
kemmersystem organisiert ist. In letzterem Falle handeln die beiden Kammern regelmässig zwar
als selbständige Abteilungen, doch bilden sie rechtlich ein zusammengehöriges organisches, Ganze
und die übereinstimmende Beschlussfassung beider Kammern gilt regelmässig als Wille der Volks-
vertretung. Die konstitutionelle Monarchie hat ihren Namen von der regelmässig in Erfüllung ge-
gangenen Forderung, dass die Organisationsprinzipien über die Stellung des Monarchen und der
Volksvertretung in einem förmlichen Staatsgrundgesetz (Konstitutionsurkunde, Konstitution)
niederzulegen seien. Als weitere Konsequenzen der konstitutionellen Monarchie sind auch die
Rechtsprinzipien, dass die Ausübung der richterlichen Gewalt im Namen des Monarchen unab-
hängigen, nur dem Gesetz unterworfenen Gerichten anvertraut werde, sowie dass die Rechts-
gültigkeit der Regierungsakte des Monarchen (auf dem Gebiete gesetzgebender und vollziehender
Gewalt) an die Mitwirkung (Kontrasignatur) von der Volksvertretung verantwortlichen Ministern
gebunden sei, allgemein zur Anerkennung gelangt. Die Ministerverantwortlichkeit ist das not-
wendige Correlat der persönlichen Unverantwortlichkeit des Monarchen, kann jedoch in den ein-
zelnen Staaten rechtlich mehr oder weniger gesichert sein; das stärkste Sicherungsmittel ist ein
geordnetes parlamentarisches Anklagerecht.t)
2. Der Staats- bezw. Verfassungsform ‚Republik‘ gehören im Gegensatz zur Monarchie
alle Staaten an, in welchen die Einheit einer Mehrheit von Willenssubjekten Träger der Staats-
gewalt ist. Je nachdem der Kreis der mehreren Willenssubjekte enger oder weiter gezogen ist, unter-
scheidet man innerhalb der Kategorie „Republik“ Aristokratie und Demokratie. Die altgrie-
chische Lehre von der Trias: Monarchie, Aristokratie, Demokratie verkennt, dass im Grunde nur
ein quantitativer, nicht ein qualitativer Unterschied zwischen Aristokratie und Demokratie ob-
waltet. Das juristisch entscheidende Kriterium für die innere Wesensgleichheit von Aristokratie
und Demokratie liegt darin, dass der einheitliche Wille des Trägers der Staatsgewalt hier nicht,
wie in der Monarchie, durch einen psychologischen Prozess hervorgebracht wird, sondern künst-
lich durch einen juristischen Prozess, welcher aus den verfassungsmässig geäusserten Willen meh-
rerer Willenssubjekte im Rechtssinne einen Willen entstehen lässt. Auf solcher gemeinsamer
Basis ist Aristokratie die Spezies der Republik, in welcher Träger der Staatsgewalt eine vornehme
Minderheit des Staatsvolks ist, Demokratie aber diejenige Spezies der Republik, in welcher die
Gesamtmasse der aktiven Staatsbürger den Herrscher darstellt. Die Aristokratie ist rechtliche
Klassenherrschaft gegenüber der überwiegenden Mehrheit des Staatsvolks, während die Demo-
kratie die Volksgemeinde, die grosse Gesamtheit der Vollgenossen des Staatsverband Herrscher
«) „Konstitutionell‘ sind gegenwärtig alle deutschen Monarchien mit Ausnahme der beiden Meoklen-
burg, deren Organisation selbst noch immer der Struktur des mittelalterlich-dualistischen Ständestaats sich
nähert, wenngleich „das entsohiedene Übergewicht der Krone das ständisohe Corpus zu einer öffentlich-recht-
lichen Kö r y £+ inamarhalh 7 FR } “..1:,1% g Zaltat L: y Q4 4 y bg ni al-e tt ti“, Preussen
war bis 1848 eine etändisohe Monarohie, insoweit Provinzial- und allgemeine Stände dem König beschränkend
zur Seite standen (V. 22. V. 1815; G. 5. VI. 1823; P. 3. II. 1847), und eine absolute Monerchie, insoweit diesen
Ständen nur eine beratende Stimme bei gewissen Gesetzgebungsakten des Königs zukam. Erst mit der (oktro-
yierten) Verfassung vom 5. XII. 1848 begann für Preussen die konstitutionelle Monarchie. Als Norm des „monar-
ohisohen Prinzips“ gilt aber nooh jetzt A.L.R. II 13 $ 1 — Die „parlamentarische‘‘ Monarchie ist keine rechtliche
Spezies der konstitutionellen Monarchie, sondern nur eine politisch besonders gefärbte Art der Staatsregierung
in einer solchen. Während dem konstitutionellen Monarchen an und für sich die freie Auswalıl der für seine Re-
gierungsakte die Verantwortung tragenden Minister zusteht, kann in gewissen Staaten das politische Gewicht
der Volksvertretung so stark sein, dass der Monarch aus Zweckmässigkeit die Minister tatsächlich immer der
jeweiligen Parlementsmajorität zu entnehmen sich entschliesst. Dies parlamentarische Regierungssystem ist
den deutschen Monarohien fremd.