80 Eduard Hubrich, Sonveräne, halb- und nichtsouveräne Staaten.
besondere wenn in dieser Weise den verschiedenen nationalen Sprachen des Staatsvolks für den
inneren und äusseren Verkehr der Staatsorgane die Gleichberechtigung zugestanden ist.?)
ID. Da eine Verschiedenheit der Grundordnung für die Beziehung der Staatsgewalt zu den
Staatsgliedern schliesslich auch insofern möglich ist, als der Staatsgewalt die Eigenschaft der
Souveränetät zukommen kann oder nicht, lassen sich auch die Staatsformen der „souveränen“
und der „nichtsouvreränen‘ Staaten einander gegenüberstellen.
Die Auffassung des Souveränetätsbegriffs hat geschwankt. Zuerst führte ihn der franzö-
sische Publizist Bodin i in die allgemeine Staatslehre ein. Von dem französischen König des 16.
Jahrhunderts, den die französische Rechtssprache als Inhaber einer nach aussen und nach innen
unabhängig gewordenen Macht souverän nannte, abstrahierend, definierte Bodin den Staat über-
haupt als un droit gouvernement de plusieurs mesnages et de ce que leur est commun avec puissance
souveraine (Les six livres de la republique 1576). Bis in die neueste Zeit hat seit Bodin die Ansicht,
dass Souveränetät, d. h. eine in ihrer Sphäre höchste Gewalt, ein Essentiale des Staatsbegriffs
sei, ihre Vertreter gehabt. Im Laufe der Entwickelung ist das Wort „Souveränetät‘“ überhaupt
in folgenden Beziehungen gebraucht worden: 1. Man hat Souveränetät und Staatsgewalt identi-
fiziert. — 2. Als Staatssouveränetät ist: die Eigenschaft des Staats als Subjekt einer „souveränen“
Staatsgewalt bezeichnet worden. — 3. Man hat Souveränetät mit dem Träger der Staatsgewalt
in Verbindung gebracht und, je nachdem der letztere eine Einzelperson war oder nicht, von Fürsten-
oder Volks-(National- )Souveränetät gesprochen.
Gegenüber diesem Sprachgebrauch ist vom juristischen Standpunkt aus die Gleichsetzung
von Staatsgewalt und Souveränetät schlechthin abzulehnen. Denn nur die Eigenständigkeit der
Befehlsmacht, nicht das Höchst-Sein derselben ist das entscheidende Charakteristikum der Staats-
gewalt. Korrekt dagegen erscheint die Verbindung „Staatssouveränetät‘, sofern in einem kon-
kreten Staat nicht nur Eigenständigkeit, sondern auch das Höchst-Sein "der Staatsgewalt vor-
liegt, und auch von Fürsten- und Volkssouveränetät lässt sich mit Bezug auf bestimmte Staaten
reden, sofern daselbst auf Grund von Eigenständigkeit und Höchst-Sein der Staatsgewalt Fürst
oder Volk Träger einer „souveränen“ Staatsgewalt ist.
An und für sich kann eine Staatsgewalt. souverän, die höchste in ihrer Sphäre sein, braucht
es aber nicht. Aus dem Moment des Höchst-Seins folgt jedenfalls zunächst, dass nach innen der
Staatswille, der souverän sein soll, für alle innerhalb des Staatsgebietes befindlichen Einzelper-
sonen und Korporationen schlechthin der überlegene, übergeordnete sein und die Freiheit der
Selbstbestimmung besitzen muss. Wohl gilt mit Bezug auf dies Innenverhältnis auch für die sou-
veräne Staatsgewalt an sich die Schranke des Rechts, insofern dieses, so lange es nicht rechtsgültig
geändert ist, von der handelnden Staatsgewalt beobachtet werden muss. Aber diese Beschränkung
der Souveränetät ist selbstverständlich und widerstreitet nicht deren Begriff, da schliesslich die
Dauer dieser Beschränkung jeweilig von dem Willen der souveränen Staatsgewalt abhängt und
?) Nationalstaaten im Reobtssinne sind z. B. Spanien, Italien, Grossbritannien (mit ca. 2 Mill. Kelten in
Irland, Wales, Schottland) und Frankreich (mit ca. 4, Mill. Italiener, 1 Mill. Bretons und 100 000 Basken). Na-
tional-gemischte Staaten im Reohtssinne sind die Schweiz (mit Deutsch, Französisch, Italienisch als Staats-
sprachen, Art. 116 B.V. 29, V. 1874), Belgien (mit verfassungsmässiger Gleichberechtigung von Französisch, VI&-
misch, Deutsch Art. 23 V. 7. II. 1831) und Österreich (Art. 18 G. 21. XII. 1867: „Alle Volksstämme sind gleich-
berechtigt und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung seiner Nationalität und Sprache.
Die Gleiohbereohtigung aller landesübliohen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staat
anerkannt“). Preussen ist deutscher Nationalstaat im Reohtssinne jedenfalls seit dem Geschäftssprachengesetz
v. 28. VIII. 1876. Auch für das deutsche Reioh gilt der Reohtscharakter als deutscher Nationalstaat und der
Rechtsgrundsatz der deutschen Staatssprache sohon als Konsequenz der „Präambel“ der R.V., wonach der
„ewige Bund“ der deutschen Einzelstaaten „zur Pflege der Wohlfahrt des deutschen Volks“ geschlossen ist.
Hubrioh, Art, „Gesohäftsspraobe‘‘ bei Stengel-Fleischmenn, Wörterbuch. — Das 80g. „Netionalitätsprinzip“
dngegen, dessen Inhalt die Forderung ist, dass jede sich als solche fühlende Nation einen Staat zu bilden habe,
ist lediglich politischer Natur. Es gibt keinen allgemeinen Reolıtssatz — auch nicht des Völkerrechts —. der das
Recht der Nation an sioh auf eigene stastliohe Existenz gewährleistete,