Full text: Handbuch der Politik. Erster Band. (1)

82 Eduard Hubrich, Stasatenvrerbindungen und Staatenbündnisse. 
völkerrechtliches Unterordnungsverhältnis selbst mit der bloss vertragsmässig begründeten Macht, 
in die inneren Verhältnisse des untergebenen Staates mit Befehl und Zwang direkt einzugreifen, 
ausgestattet sein.?) 
B. Staatenrerbindungen und Staatenbündnisse. Der geschichtlichen Erfahrung nach 
sind die Staaten bisher der Kegel nach einfache uder Einheitsstaaten gewesen, d. h. Verbände 
eines bestimmten ansässigen Staatsvolks, dessen innere und äussere Beziehungen im letzten Ende 
schlechthin einheitlich der Wille einer einzigen eigenständigen Befehlsmacht gestalten durfte. 
Seit jeher hat sich aber zwischen den Staaten, bei denen das Gemeinschaftsbewusstsein gewisser 
Kulturelemente sich ausbildete, auch ein gegenseitiger Verkehr entwickelt, dessen sich mehr und 
mehr befestigende Grundlage ein Inbegriff von Rechtsnormen wurde, welche von der gemeinen 
Überzeugung der Verkehrsgenossen als notwendige Verkehrsbasis verstanden und demgemäss 
fortan konstant beobachtet wurden. Zu diesen aus der gemeinen Rechtsüberzeugung der Ver- 
kehrsstaaten geflossenen und durch unmittelbare konstante Anwendung in den konkreten Fällen 
bestätigten Rechtsnormen gesellte sich im Verlaufe der Entwicklung eine zweite Gruppe von 
Rechtsvorschriften, welche die Verkehrsstaaten als eigenständige Herrschaftsfaktoren im Wege 
der „Vereinbarung“ (eines „rechtsetzenden Staatsvertrags‘‘) als eine sie gleichfalls in Zukunft not- 
wendig bindende objektive Verkehrsbasis formulierten.!%) Das auf diese zwiefache Art entstandene 
und in seiner Existenz als ein umfassendes Rechtsnormen-System zu allgemeiner ‚Erkenntnis ge- 
diehene „Völkerrecht‘“ ist nunmehr die Rechtsordnung für den gegenseitigen Verkehr aller an dem 
modernen Kulturbegriff anteilhabenden Staaten der Welt. Die Völkerrechtsgemeinschaft, in 
welcher diese Kulturstaaten der Welt stehen, ist lediglich eine Gemeinschaft objektiven Rechts. 
Nur der Wille, der in objektiven Rechtsnormen enthalten, steht über den Staaten der Völkerrechts- 
gemeinschaft. Eine Subjektivierung des im objektiven Völkerrecht begriffenen Willensinhalts in 
einer personenrechtlichen Instanz, die gegenüber den einzelnen Kulturstaaten mit eigenständiger 
Autorität für die konkrete Befolgung des Völkerrechts zu sorgen hätte, ist bisher der Völkerrechts- 
gemeinschaft fremd geblieben. Die Zugehörigkeit zur Völkerrechtsgemeinschaft hat daher auch den 
etwa vorhandenen Besitz der Souveränetät an keiner Stelle schmälern können. Der Eintritt in 
die Völkerrechtsgemeinschaft war überhaupt für die in Frage kommenden Kulturstaaten jeweilig 
eine Tat rechtlich freier Selbstbindung, und die Freiheit der Selbstbestimmung gegenüber den 
Normen des Völkerrechts bewährt sich auch immer in dem fundamentalen Rechtssatz, dass an 
sich jeder Staat selbst der Ausleger des Völkerrechts für seine eigenen internationalen Beziehungen ist. 
Auf der Basis des objektiven Völkerrechts haben die Kulturstaaten seit jeher ihre Bezie- 
hungen durch Staatsverträge ausgestaltet, besondere subjektive Rechte und Pflichten an sich 
Gleichgeordneter unter einander begründend. Insbesondere sind durch Staatsvertrag zwischen 
manchen Staaten Gemeinschaften zur Verfolgung bestimmter gemeinschaftlicher Zwecke mit 
gemeinschaftlicher Kraft errichtet worden (Staatengesellschaften, Staatensozietäten). Anderer- 
seits sind auch ohne Staatsvertrag durch unmittelbare Wirkung von Völkerrechtssätzen in ge- 
wissen Fällen Rechtsgemeinschaften mit besonderen subjektiven Rechten und Pflichten der Ein- 
zelnen unter bestimmten Kulturstaaten entstanden (völkerrechtliche communio incidens). Der- 
artige Gemeinschaftsverhältnisse von Staaten konnten und können von vorübergehender oder 
dauernder Natur sein. Für die dauerhaften, durch Staatsvertrag begründeten Gemeinschafts- 
verhältnisse ist der technische Name „Staatenverbindung‘‘ aufgekommen. Andererseits treten 
den auf völkerrechtlichem Grunde entstandenen Staatenverbindungen auch „staatsrechtliche 
Staatenverbindungen‘“ gerenüber. Diesen eignet ebenfalls die Eigenschaft der Dauer, aber ihre 
Rechtsbasis ist das Staatsrecht, der Wille einer eigenständigen, die Einzelstaaten als untertänige 
Glieder der Verbindung sich aneignenden und in “derselben unbedingt festhaltenden Herrscher- 
macht. Bei der durch Staatsvertrag vorübergehend oder dauerhaft in Aussicht genommenen 
gemeinschaftlichen Zweckverfolgung konnte und kann es sich um Aufgaben sowohl kultureller, 
als politischer Art handeln d. h. im letzten Fall um solche Zwecke, bei denen die Staaten als Macht- 
®) Vgl. Wiener Schlussakte v. 15. V. 1820 Art. 25 f. Ebers, Staatenbund S. 293. 
1%) Vgl. zu den Begriffen „Staatsvertrag“ und „Vereinbarung“ allerdings auch Triepel S. 47 f andererseite 
uber Hubrich, Internaticnal.s Reoht unJ internationale Rechtsgemeinschaft in den „Grenzboten‘‘ 1913, S. 530£.
	        
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