84 Eduard Hubrich, Staatenverbindungen und Staatenbündnirse.
6. Staatenbund ist diejenige organisierte völkerrechtliche Stastenverbindung, welche
die Einzelstaaten als Machtfaktoren vereinigt und sie in dieser Vereinigung schlechthin oder doch
grundsätzlich als Einheit allen anderen Staaten gegenüberzustellen bezweckt. Der Staatenbund
ist ebenfalls nur Rechtsverhältnis, nicht Rechtssubjekt. Im Innern herrscht an sich Gleichberech-
tigung der Glieder, und wo der Staatenbund als Gesamtmacht nach aussen auftritt, handelt es sich
um Befugnisse, welche quoad jus in der völkerrechtlichen Persönlichkeit der einzelnen Glied-
staaten enthalten sind, und die nur, dritten Staaten gegenüber gemeinschaftlich auszuüben, die
Gliedstaaten übereingekommen sind. Eine selbständige völkerrechtliche Persönlichkeit des Staaten-
bundes wird dadurch nicht geschaffen. Das Zentralorgan des Staatenbundes stellt nur die zusam-
mengelegte Summe der Einzelwillen der Glieder dar, nicht eine ursprüngliche und den Gliedstaaten
gegenüber selbständige Willensmacht. Neben dem Machtzweck pflegt im Staatenbund ein grössere:
Kreis von Kulturzwecken vergemeinschaftet zu werden.!!)
7. Obwohl das Völkerrecht von dem Rechtsgrundsatz der Gleichheit der Staaten der Völker-
rechtsgemeinschaft ausgeht, kann es dennoch völkerrechtliche Staatenverbindungen mit Sub-
ordination eines oder mehrerer Staaten gegenüber einem anderen Staat geben. Doch beeinträchtigt,
wie bereits bemerkt, diese Subordination weder die Souveränetät, noch das jus der völkerrechtlichen
Persönlichkeit der untergebenen Staaten. Nur die Ausübung der in der völkerrechtlichen Persön-
lichkeit der untergebenen Staaten enthaltenen Befugnisse ist staatsvertragsmässig
beschränkt, wie eventuell auch die Ausübung der inneren Hoheitsrechte. Staatsgebiet, Staats-
volk, Staatsgewalt bleiben an sich rechtlich selbständig und unterliegen nur der vertragsmässigen
Einwirkungsmacht des übergeordneten Staats. In diese Kategorie fallen die modernen Protekto-
ratsverhältnisse. Bei einem staatsrechtlichen Unterordnungsverhältnis dagegen bilden Staats-
gebiet und Staatsvolk des untergebenen Staats Bestandteile von Staatsgebiet und Staatsvolk
des übergeordneten Staats und völkerrechtliche Handlungen des letzteren gelten präsumtiv auch
für Staatsgebiet und Staatsvolk des untergebenen Staats. Solche staatsrechtlichen Unterordnungs-
verhältnisse lagen insbesondere zwischen der Türkei und ihren Vasallenstaaten vor.
8. Die staatsrechtliche Staatenverbindung heisst technisch „zusammengesetzter
Staat“, „Staatenstaat‘. Sie bildet trotz der staatlichen Natur ihrer Glieder auch im
Ganzen einen Staat mit einer eigenständigen, souveränen Oberstaatsgewalt (Zentralgewalt, Ge-
samtstaatsgewalt, Reichsgewalt) gegenüber den nichtsouveränen, aber eigenständigen Unter-
staatsgewalten der Glieder und mit eigener völkerrechtlicher Persönlichkeit gegenüber den in der
Ausübung ihrer völkerrechtlichen Persönlichkeit mehr oder weniger nach Massgabe der Gesamt-
staatsverfassung beschränkten Gliedern. Träger der Oberstaatsgewalt im zusammengesetzten
Staat kann ein Monarch sein, wenn dazu ein Einzelindividuum unmittelbar durch die Gesamt-
staatsverfassung berufen ist. In allen anderen Fällen ist die Verfassungsform des zusammenge-
setzten Staats republikanisch. Eine Republik war z. B. auch das alte deutsche Reich seit dem
Westfälischen Frieden, da seitdem als Träger der Reichsgewalt die Einheit von Kaiser und den
zum Reichstagskolleg formierten Reichsständen („Kaiser und Reich“) galt. Ein Bundes-
staat aber ist diejenige Spezies aus dem genus „zusammengesetzter Staat“, bei welcher Träger
der Oberstaatsgewalt die Einheit aller verbundenen Gliedstaaten ist; der Verfassungsform nach
fällt der Bundesstaat daher unter die Kategorie „Aristokratie“.
C. Rechtsnatur des Deutschen Reichs (Elsass-Lothringen). Der norddeutsche Bund, wie
das Deutsche Reich waren von vornherein staatsrechtliche Staatenverbindungen, im Ganzen selbst
Staaten. Hierauf deuten nicht nur klare Äusserungen der bei den Gründungsvorgängen beteiligten
1) Ein klassisches Beispiel des Staatenbundes lieferte der „Deutsche Bund“ von 1815—1866 mit den
beiden sog. „Bundesgrundgesetzen“: der Deutschen Bundesakte vom 8. Juni 1815 und der Wiener Schlussakte
vom 15. V. 1820. Gegen den Versuch von Ebers, den Staatenbund auf den Begriff der „Gemeinsohaft zur gesamten
Hund“ zurückzuführen, treffend Laband im Arch. d. öff. R. Bd. 27 S. 340.