94 Rudolf Lennhoff, Die Aerzte.
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Durch Inkrafttreten der Reichsversicherungsordnung für die Krankenversicherung am
1. I. 1914 werden weitere Millionen Einwohner der freien Praxis entzogen. Den Ärzten drohte
erhöhte Abhängigkeit, gegen die sie sich mit allen gesetzlichen Mitteln zu wehren suchten. Unter
Führung des Staatssekretärs des Innern ist ın letzter Stunde, am 23. XII. 13 ein Abkommen
für ganz Deutschland zwischen den zentralen Arzteorganisationen (Ärztevereinsbund und Leipziger
Verband) und den zentralen Krankenkassenorganisationen zustande gekommen, dem die Reichs-
regierung und alle bundesstaatlichen Regierungen als dritter Kontrahent beigetreten sind. Durch
Ausschaltung des einzelnen Arztes von der Bewerbung und der Vertragsverhandlung und Schaffung
paritätischer Schiedsinstanzen hofft man für dıe nächsten 10 Jahre einen erträglichen Frieden
geschaffen zu haben.
Die beamteten Ärzte. Die Aufgaben der öffentlichen Gesundheitspflege: Krank-
heitsverhütung durch Beseitigung der Krankheitsursachen und Unterdrückung der Ausbreitung
ansteckender Krankheiten, Nahrungsmittelüberwachung, Wohnungs- und Gewerbehygiene etc.,
und die Aufgaben der Rechtspflege gegenüber Geisteskranken, Leichenschau etc. bedingen die Not-
wendigkeit von Medizinalbeamten, bei den Zentralbehörden, den Lokalinstanzen, in zunehmendem
Masse auch bei den Gemeinden. Sieht man von den Universitätslehrern als Beamten ab, dann findet
man Ärzte in reinem Beamtenverhältnis beim Reich im Kaiserlichen Gesundheitsamt, in den Mini-
sterien der Bundesstaaten (in Preussen steht seit 1911 auch an der Spitze der Medizinalabteilung
wieder ein Arzt) bei den Oberpräsidien und den Regierungspräsidien — je nach der bundesstaat-
lichen Regelung. Der beamtete Arzt ın der Lokalinstanz ıst der Physikus oder Kreisarzt. (In
Preussen Gesetz betr. die Dienststellung der Kreisärzte etc. vom 16. 9. 1899 in der Dienstanweisung
für die Kreisärzte vom 1. 9. 09). Vorbedingung für dıe Anstellung als Kreisarzt ist das Bestehen
der kreisärztlichen Prüfung, dıe erst nach Ablauf eines angemessenen Zeitraums nach der Appro-
bation als Arzt abgelegt werden darf und die vorherige Ausübung einer fünfjährigen selbständigen
Tätigkeit als Arzt. Die kreisärztliche Prüfung ıst geregelt durch die Prüfungsordnung für Kreis-
ärzte vom 24. 6. 09. Vereinzelt sind beamtete Arzte ausschliesslich als Gerichtsarzt an-
gestellt. Nur ein Teil der Kreisärzte ıst vollbesoldet, die meisten sind noch auf Frivatprazis ange-
wiesen und befinden sich so oft ın einer misslichen Zwischenstellung.
Auch für den Gesundheitsdienst der Gemeinden mehrt sich die Notwendigkeit der Anstellung
ausschliesslich beamteter Ärzte. In einigen wenigen Grossstädten, wie Berlin, Cöln, Charlottenburg,
Schöneberg ist ein Arzt als besoldetes Mitglied des Magistrats angestellt worden, häufiger ıst bisher
noch die Anstellung als Beamter des Magistrats.
Militärärzte. Als dritte Hauptgruppe der Ärzte kommen die Ärzte bei der Armee
und der Marine in Betracht, sie zählen zu den aktiven Militärpersonen mit Offiziersrang. Die
Vorbildung ist dieselbe, wie bei allen übrigen Arzten. Zur Ausbildung von Militärärzten gıbt es
in Preussen die Kaiser-Wilhelm-Akademie (Aufnahmebedingungen geregelt durch die Verordnung
vom 1. 6. 07). Der Staat trägt hier die Kosten des Universitätsstudiums und gewährt überdies
vielerlei Beihilfen, wie freie Wohnung, Zuschüsse für den Lebensunterhalt, Anschaffung von Büchern
Instrumenten etc. In den meisten anderen Bundesstaaten und ebenso bei der Marine, deren Sanı-
tätskorps von dem der Armee getrennt ist, ergänzen sich die aktiven Ärzte aus den einjährig-
reiwilligen Aerzten und denen der Reserve. Neben den erwähnten Erleichterungen beı der Aus-
bildung, geniessen die Militärärzte den Vorzug einer unentgeltlichen und ausgezeichneten Fort-
bildung. Mit besonderer Erlaubnis der vorgesetzten Behörde dürfen sie Zivilpraxis ausüben, müssen
sich aber für diese in Preussen wie die übrigen Arzte beim Kreisarzt melden. Ihre Ehrengerichts-
barkeit ist von der der Zivilärzte, sowohl wie von der des Offizierskorps gesondert.
Organisation und Vereinswesen.
Zu unterscheiden sind staatliche und freiwillige Organisation. Staatliche Organisation.
Diese ist nicht in allen Bundesstaaten vorhanden, dort, wo sie besteht, ıst sıe z. 1.
sehr verschiedenartig gestaltet, in einzelnen Staaten in Anlehnung an die Vereine, ın anderen
aus besonderen Wahlen hervorgegangen, in einzelnen Staaten mit, in anderen ohne Disziplinar-