RR Paul Rohrbach, Kultarfortschritte in China.
EHER»
dass das Septemberedikt in Wirklichkeit dıe Geburtsurkunde einer neuen Kulturepoche für China
ist. Zwar fehlt noch viel daran, dass dıe Unterrichtsform schon brauchbare Früchte zeitigte; dazu
fehlt es an Geld, an Lehrkräften und Lehrmitteln und an genügend vorbereiteten Schülern für die
neuen Mittel- und Hochschulen, aber mögen sıch dıe Dinge ın dieser Beziehung unter noch so grossen
Schwierigkeiten entwickeln, trotzdem steht fest, dass dıe Rückkehr zu den alten Prinzipien für
immer ausgeschlossen ist. Der entscheidende Schritt zur zukünftigen Verschmelzung der chine-
sischen und der abendländischen Kultur ıst durch das Edikt geschehen, wenn auch noch sicher
Jahrzehnte und vielleicht Generationen darüber vergehen werden, bis die innere Vereinigung
beider Faktoren zu einer neuen Grösse eingetreten ıst. Die siegreich gewordene Revolution
wird ın jedem Falle eine Beschleunigung des Prozesses zur Folge haben. Ob die Staatsumwälzung,
die im Herbst 1911 mit dem Eisenbahnaufstand ın Szetschwan und der Rebellion der Truppen
von Wutschang begann und zur Ersetzuug der Mandschu-Dynastie durch die chinesische Republik
führte, mit einer so merkwürdigen politischen Konstruktion den tatsächlichen Abschluss gefunden
hat, oder ob wir erst am Anfang der gewaltsamen Wirren stehen, mit denen das neue Zeit-
alter Chinas äusserlich beginnt, vermag einstweilen niemand zu übersehen. Sicher ist aber auf
jeden Fall, dass nicht nur die technische Zivilisation, sondern auch die geistig-wissenschaftliche
Kultur des Abendlandes fortan ın immer breiterem Strome ıhren Einzug nach China halten wird.
Will man äussere Dinge, wıe z. B. den Eisenbahnbau, mit zum Massstab der Kulturentwick-
lung in China nehmen, so muss bemerkt werden, dass während des letzten Jahrzehnts verhältnis-
mässig grosse Fortschritte gemacht sınd. Das alte Vorurteil gegen den Eisenbahnbau ist im Volk-
ganz und gar geschwunden und zahlreiche Linien von bedeutender Ausdehnung sind erbaut, ander-
in der Verwirklichung begriffen. Ebenso hat man von chinesischer Seite einen Anfang zur selbstän-
digen Ausbeutung der grossen Mineralschätze des Landes, namentlich der Kohlen- und Eisenlager,
gemacht. Nach dieser technischen Seite hin werden auch die Hochschulen, die jetzt von Deutsche
land, England und Amerika aus ın China gegründet werden, um Einfluss auf die im Gange befinde
liche Kulturreform zu gewinnen, wohl die meiste praktische Wirksamkeit entfalten. Am weitesten
vorgeschritten und wissenschaftlich am besten fundiert ist von den fremdländischen Hochschul-
unternehmungen vorläufig die deutsch-chinesische Hochschule in Tsingtau, die ihre Entstehung
der Inıtiative des Reichsmarineamts verdankt. Vom deutschen Standpunkte aus ist nur leider zu
befürchten, dass die unvergleichlich grösseren Mittel, die in England und Amerika zu entsprechenden
Zwecken bereitgestellt werden, letzten Endes doch den grösseren Erfolg dorthin lenken werden.