Full text: Handbuch der Politik.Dritter Band. (3)

 Ludwi g Pohle, Die Wohnungsfrage. 67 
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behördenerlassenenen Vorschriften überdie Beschaffenheit bezw. auch die Benutzung von Wohnungen 
(, Wohnungs-Ordnungen”) auf mehr als 250.14) Die ersten Verordnungen dieser Art bezogen sich 
meist nur auf die Wohnverhältnisse der Einlogierer, das sog. Schlafstellenwesen. Seitdem ist man 
aber vielfach weiter gegangen und hat auch dıe Wohnverhältnisse der übrigen Bevölkerung, zum 
mindesten die der ın bestimmten Wohnungsgrössenklassen wohnenden Mietbevölkerung in die 
Regelung einbezogen. Als Ziel wurde dabeı entweder nur die Verbesserung oder im Notfalle die 
Räumung ungesunder Wohnungen oder zugleich auch die Verhütung des Eintretens von Wohnungs- 
überfüllung verfolgt. Was ın den Wohnungsordnungen zu dem letzteren Zweck gefordert wird, 
geht aber, abgesehen von der Trennung der Geschlechter, fast nirgends über die hygienischen 
Mindestmasse von 3—4 qm Bodenfläche und 10 cbm Luftraum in den Schlafzimmern für die er- 
wachsene Person hinaus. 
Praktische Bedeutung erlangen dıe Vorschriften über die Beschaffenheit und die Benutzung 
der Wohnungen erst durch die gleichzeitige Einführung einer Wohnungsaufsicht. Regelmässig 
gehen daher der Erlass von Wohnungsordnungen und die Einrichtung einer Wohnungs-Inspektion 
Hand ın Hand. Die Städte, welche Einlogierer- oder Wohnungsordnungen aufstellten, haben ge- 
wöhnlich auch einen Wohnungsaufsichtsdienst eingeführt, wenn auch in verschiedenem Umfange. 
Ebenso ist in denjenigen Bundesstaaten, welche den Gemeinden von bestimmter Grösse den Erlass 
von Wohnungsordnungen vorgeschrieben haben, meist zugleich die Einführung einer Wohnungsauf- 
sicht angeordnet worden. In Deutschland haben zuerst Hessen 1893 bezw. 1902 sowie Hamburg 1898 
die Wohnungsinspektion für das gesamte Staatsgebiet obligatorisch gemacht. In Sachsen hat das 
allgemeine Baugesetz von 1900 die Einführung der Wohnungsinspektion in den grösseren Gemeinden 
veranlasst, in Württemberg besteht sıe seit 1901 obligatorisch für alle Gemeinden über 10 000 Ein- 
wohner, in Bayern müssen seit dem gleichen Jahre in allen grösseren Orten Wohnungskommissionen 
gebildet werden. Um eine Zentralisation derWohnungsinspektion herbeizuführen, hat Hessen 1902 
die Stelle eines Landeswohnungsinspektors geschaffen; Bayern ist 1906 diesem Vorgehen durch 
Einrichtung einer Zentralwohnungsuuspektion gefolgt. In Preussen fehlen staatliche Einrichtungen 
und Vorschriften auf diesem (Gebiete noch, doch sieht der Anfang 1913 veröffentlichte preussische 
Wohnungsgesetzentwurf den obligatorischen Erlass der Wohnungsordnungen und die Kinführung 
einer Wohnungsaufsicht für Gemeinden mit mehr als 10000 Einwohnern vor.!®) 
Durch die Massnahmen der Wohnungspflege sowie durch das von der gemeinnützigen und 
öffentlichen Bautätigkeit Geleistete sind sicherlich die Wohnungszustände an vielen Orten in 
günstigem Sinne beeinflusst worden. Es würde indessen vıel zu weit gehen, wenn man annehmen 
wollte, dass dıe allgemeine Besserung der Wohnungsverhältnisse, dıe sich in den deutschen Gross- 
städten ım letzten Menschenalter offenbar vollzogen hat und die vor allem ın dem Rückgang der 
auf ein Zimmer durchschnittlich entfallenden Bewohnerzahl zum Ausdruck kommt, — die 
Wohndichte kann ja trotz zunehmender Besiedlungsdichte abnehmen —, allein oder auch nur 
hauptsächlich auf die Eingriffe der öffentlichen Gewalt zurückzuführen sei. Die Wohnungspflege 
vermag wohl zu verhindern, dass einzelne Familien hinter dem von der Gesamtbevölkerung erreichten 
Durchschnittsniveau des Wohnens zurückbleiben, dieses Niveau aber aus eigener Kraft immer weiter 
zu heben, ist sie nicht imstande. Dazu sind stärkere Kräfte nötig. Diese können nur aus dem all- 
gemeinen Äufsteigen der Einkommensverhältnisse und der Lebenshaltung ın der Bevölkerung ent- 
springen. Und in der Tat hat ja die wirtschaftliche Entwickelung in den letzten Jahrzehnten ein 
ungemein rasches Steigen der Löhne bewirkt. In diesem allgemeinen Aufrücken der Bevölkerung 
aus den unteren in die mittleren Einkommensstufen ist die Hauptursache für dıe Besserung der 
Wohnungsverhältnisse zu erblicken, die sich in der letzten Zeit vollzogen hat, und ebenso ist auf das 
weitere Anhalten dieser Aufwärtsbewegung hauptsächlich die Hoffnung zu gründen, dass auch 
in Zukunft auf eine weitere Hebung der Wohnungszustände gerechnet werden darf. Die Tatsache, 
  
  
  
  
  
    
  
  
  
  
  
14) W.v. Kalkstein, Die im Deutschen Reiche erlassenen Vorschriften über Benutzung und über Be- 
schaffenheit der Wohnungen. Bremen 1907. 
15) Über die O:ganisation der Wohnungsinspektion, ihre Revisionstätigkeit und ihre Erfolge vgl. meine 
Wohnungsfrage Bd. II, S. 35ff. 
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