Full text: Handbuch für den exekutiven Polizei- und Kriminalbeamten.Zweiter Band. 1905. (2)

324 I. Der exekutive Kriminalbeamte. 
Handelt es sich um die erwähnte Wiedererkennung des Messers, so wird der 
Kriminalbeamte gut tun, sich von den Zeugen, welche über das Messer Auskunft 
geben sollen, das Messer des Beschuldigten, welches sie kennen wollen, beschreiben, 
vielleicht, wenn die Zeugen dazu befähigt sind, in den Umrissen mit Bleistift auf- 
zeichnen und die besonderen Merkmale, welche sie für die Wiedererkennung des Messers 
haben, beschreiben lassen. Die Zeugen werden auch darüber Auskunft zu geben 
haben, bei welchen Gelegenheiten, wie oft und wann zuletzt sie das Messer gesehen, 
ob und zu welchem Zwecke sie es selbst in der Hand gehabt haben und ob sie ein 
Interesse daran hatten und welches, das Messer sich genauer anzusehen. Da solche 
Messer immer Fabrikware sind, welche in vielen Exemplaren verkauft zu werden 
pflegt, so ist Vorsicht ganz besonders geboten. 
Zeugen, deren Wahrnehmungsfähigkeit oder Gedächtnistreue wegen des 
mangelnden Interesses am Vorgange oder wegen der Länge der verflossenen Zeit usw., 
von Anfang an in Zweifel gezogen werden müssen, sind also sehr vorsichtig zu 
befragen. Hier hat der Beamte peinlich darauf zu achten, daß ihm keine Suggestiv- 
fragen unterlaufen, welche den beschränkten oder bequemen Zeugen leicht in einen 
Irrtum bringen können. Kinder und junge Mädchen von 12—15 Jahren sind 
besonders vorsichtig zu vernehmen, weil sie für Suggestionen, Gedankenunter- 
schiebungen, sehr empfänglich sind. Kleine Mädchen darf man bei Vorstellung 
des angeblichen Sittlichkeitsverbrechers niemals fragen: „Nicht wahr, das ist der 
Mann, der Dir unter die Röcke gegriffen hat?“ Dann wäre die Antwort „Ja“ 
dem Kinde zu nahegelegt. Die Frage hat zu lauten: „Ist das der Mann, der usw.“ 
Ein Kind vermag Selbsterlebtes und von anderen Erzähltes vielfach nicht leicht zu 
unterscheiden, man muß deshalb alles vermeiden, was in dem Gedächtnisse desselben 
eine Fälschung verursachen könnte. 
Wiewohl der Kriminalbeamte, wie schon erwähnt wurde, die Aussage eines 
Zeugen nicht erzwingen, andererseits aber nach seiner ganzen Stellung im Straf- 
prozesse auch nicht für verpflichtet erachtet werden kann, gewisse Zeugen darauf hin- 
zuweisen, daß sie nach dem Gesetze berechtigt sind, ihr Zeugnis zu verweigern, so 
muß er sich doch immer gegenwärtig halten, welche Zeugen derartiges Zeugnis- 
verweigerungsrecht haben. Es sind dies der Ehegatte des Beschuldigten, auch wenn 
die Ehe getrennt oder geschieden ist, Kinder und Enkel usw., Eltern und Groß- 
eltern usw., Geschwister und Geschwisterkinder, die Ehegatten der Geschwister und 
die Geschwister des Ehegatten des Beschuldigten, Schwiegereltern, Schwiegerkinder 
des Beschuldigten, Adoptiveltern und Adoptivkinder. (§ 51 d. Str. Pr. O.) Von 
diesen Personen mag der Polizeibeamte abwarten, ob sie auf seine etwa an sie zu 
richtenden Fragen Auslunft geben wollen. Geistliche und Aerzte haben in An- 
sehung desjenigen, was ihnen bei Ausübung der Seelsorge bezw. bei Ausübung 
ihres Berufes anvertraut worden ist, auf gebührende Rücksicht seitens des Polizei- 
beamten zu rechnen. (§ 52 d. Str. Pr. O.) Als z. B. dem Arzte anvertraut 
hat alles das zu gelten, was nach des Patienten ausdrücklichem oder nach 
Art der Krankheit oder nach den sonstigen Umständen selbstverständlichem Willen
	        
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